Milchfieber
Grundschule − er kommt aus dem Dorf − waren auch dann unzertrennlich als der eine aufs Gymnasium und der andere auf die Realschule ging. Wenn sie sich heute sehen, ist es bei ihnen wie vor fünfzehn Jahren: sie vertrauen sich vollkommen.“
„Das schaffen viele Paare nicht, auch wenn sie schon ewig zusammen sind.“
„Meine Eltern waren das beste Beispiel“, meinte Allmers. „Sie hatten nie so etwas wie Zuneigung oder Vertrauen zueinander entwickelt.“
„Meinst du, wir könnten so etwas schaffen?“
„Zuneigung und Vertrauen? Das ist für mich nicht die Frage.“ Allmers dachte weiter: „Wir müssen uns eher fragen, warum es bei uns nicht mehr wird? Warum haben wir nicht schon längst mehr daraus gemacht?“
Wiebke löste ihren Arm aus seinem und umfasste sich mit beiden, als ob ihr kalt wäre. Sie schwieg erst eine Weile und sagte dann:
„Manchmal klappt die Liebe und meistens eben nicht.“
Es gab wenig Dinge in Wiebkes Leben, die Allmers ihr kaum verzeihen konnte, aber die Heirat mit Jochen Wiborg gehörte dazu. An einen, wie Allmers von Anfang an fand, stinklangweiligen, spießigen und nichts sagenden Menschen hatte Wiebke ihr Herz verloren und war entsetzlich getäuscht worden.
„Du wolltest zum Beispiel nie Kinder“, fuhr sie fort. „Die sind für dich doch schlimmer als die sieben Plagen Ägyptens. So hast du das einmal ausgedrückt.“
Allmers wurde unsicher: „Heute sehe ich das anders. Nimm zum Beispiel Nina. Die ist so vernünftig und erwachsen mit ihren fünfzehn Jahren. So eine Tochter könnte ich mir tatsächlich vorstellen.“
„Vorher sind sie aber viele Jahre nicht so pflegeleicht“.
Allmers wechselte das Thema. Das Gespräch bekam eine Richtung, die er gerade nicht haben wollte. Mit Wiebke über Kinder reden war schon immer eine heikle Sache gewesen. Auch ihr Mann Jochen hatte es vermieden, sich darauf einzulassen, sehr zu ihrem Leidwesen.
„Heißt du jetzt wieder Voß oder hast du immer noch diesen grässlichen Doppelnamen?“
„Voß. Wiebke Voß, so wie früher.“
„Aber“, Allmers spann den Faden der Unterhaltung weiter, „Jochen war wohl auch nicht der Richtige?“
„Ach, Hans-Georg“, Wiebke Voß blieb stehen und drehte sich zu Allmers, „ich habe einfach kein Glück bei den Männern. Weißt du, wann ich das letzte Mal Sex hatte?“
Allmers zuckte mit den Schultern.
„Vor drei Monaten. Und da war ich alleine.“
Allmers kannte den Witz, er war von Woody Allen, aber er merkte, dass Wiebke
es ernst meinte. Und er stimmte ihr insgeheim zu. Das ist bei mir nicht viel anders, dachte er.
Allmers hatte Wiebke Voß früher immer für ihr Selbstbewusstsein bewundert. Sie schien immer zu wissen, was sie wollte und Schwierigkeiten räumte sie klug und zielstrebig aus dem Weg. Die Schule bestand sie mit Leichtigkeit und alle fragten sich, warum sie kein Abitur machen wollte. Irgendwann, nach ein paar heftigen Liebschaften, die sie offensichtlich genossen hatte, deren Enden sie aber auch nicht aus der Bahn zu werfen schienen, lernte sie Jochen Wiborg kennen und Allmers wandte sich damals enttäuscht von ihr ab. Sie war von einem auf den anderen Tag wie verwandelt, ließ nach der Hochzeit ihr Leben von ihrem Mann bestimmen und hatte erst ganz zum Schluss den Mut, sich einzugestehen, dass ihre Ehe ein Desaster war.
„Nimm mich mal in den Arm“, Wiebke wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Allmers tat wie ihm geheißen und freute sich insgeheim über ihre Traurigkeit. Endlich durfte er sie wieder einmal anfassen.
„Wie sieht denn deine Traumfrau aus?“, fragte Wiebke und schniefte.
„Sie muss klug sein und eine gute Liebhaberin.“
„Warum trennst du das?“ Wiebke löste sich aus seinen Armen und sah ihn erstaunt an, „Eine gute Liebhaberin. Das hört sich so an, als ob sie nur richtig die Hüften schwingen muss, wenn sie auf dir sitzt. Hauptsache handwerklich perfekt. Eine kluge Frau ist auch eine kluge Liebhaberin, weil sie nämlich weiß, was ihrem Liebsten gut tut. Und weil sie weiß, was ihr gut tut. Und weil sie, wenn ihr etwas nicht passt, den Mund aufmacht.“
Allmers wollte sich nicht in Definitionen verstricken, er ahnte, was kommen würde und schwieg.
„Deshalb kann es mit uns nichts werden“, sagte Wiebke bestimmt. „Weil ich nicht klug bin. Ich mache einfach nicht das Maul auf, wenn ich es eigentlich müsste. Mir hat es nie Spaß gemacht, mit Jochen zu schlafen, trotzdem habe ich es jahrelang ertragen, ohne ihm einmal zu sagen, wie
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