Milchfieber
Sichtfeld verschwunden war.
Allmers hatte schon am Bahnhof erraten, was Nina ihm gekauft hatte und er hatte sich gewundert, dass so etwas in einer norddeutschen Kleinstadt vorrätig war. Es war eine Spätzlepresse und er hatte sofort beschlossen, Wiebke einmal damit zu bekochen.
Die Sonne hatte nicht mehr so viel Kraft wie zu Beginn des Sommers, für ein paar schöne Nachmittage mit Wiebke am Strand würde es noch gehen, dachte er, aber er wusste, dass sie heute keine Zeit hatte.
Er legte sich in die Hängematte, schlug das Buch auf und studierte das Inhaltsverzeichnis. Zehn Geschichten waren da verzeichnet. „Der alte Mann und ein wenig mehr“ hieß die erste und Allmers war irritiert. Ein bisschen platt, dachte er, ein wenig zu viel… er kam nicht auf den richtigen Ausdruck und las den nächsten Titel: „Zwei!“
Ungewöhnlich, dachte Allmers, mit Ausrufezeichen. Die dritte Geschichte hieß „Raffaelitas Rache“ und er erinnerte sich, dass Nina ihm von dieser Geschichte erzählt hatte. Sie hatte sie gelesen, als sie mit dem Zug gekommen war und schien begeistert gewesen zu sein.
Allmers schlug die Seite auf und begann zu lesen:
Raffaelitas Rache
Es war ein schöner Tag gewesen für Raffaelita Segundo. Nachdem sie morgens auf dem Markt Zuckerrohr und Salat verkauft hatte, war sie in der Hitze der Siestazeit mit Raul am Strand spazieren gegangen.
Natürlich war ihr das von ihrem Vater verboten worden. Sie hätte sofort nach dem Markt zurück nach Hause gemusst. Er wollte verhindern, dass sie auch nur einen einzigen Centavo ausgeben konnte.
Und das mit Raul! Nicht auszudenken, dachte Raffealita, wenn er das herausbekäme.
Allmers Handy klingelte. Wiebke, dachte er und hielt das Mobiltelefon an sein Ohr.
„Hallo“, sagte er liebevoll.
„Hier ist Werner.“
Allmers holte Luft.
„Bist du da?“
„Ja“, sagte Allmers.
„Gib mir mal Nina“, meinte sein Bruder, „ich habe ihre Handynummer nicht.“
„Die ist heute nach Hause gefahren, sie ist nicht mehr da. Die drei Wochen sind vorbei.“
„Ohne sich von mir zu verabschieden?“, fragte der Staatsanwalt und Allmers überlegte, ob seinem Bruder das wohl wirklich wichtig gewesen war.
„Ich glaube“, sagte Allmers, um seinen Bruder zu beschwichtigen, „das war keine Absicht.“
„Genau das vermute ich aber“, sagte der Werner Allmers, „sie hat wohl allen Grund dazu. Weißt du, was sie in Wirklichkeit gemacht hat, als du sie vermisst hast?“
„Keine Ahnung.“
„Sie hat mit Ines Detektiv gespielt.“
Allmers setzte sich erschrocken auf: „Detektiv?“, fragte er verblüfft.
„Die beiden haben gewartet, bis es dunkel war und haben sich dann auf Winklers Hof geschlichen. Ines ist in das Haus eingestiegen und Nina hat Schmiere gestanden.“
Allmers schluckte. Er konnte kaum glauben, was sein Bruder erzählte. Nina hatte, so dachte er zumindest bisher, panische Angst vor Klaus. Sie hatte es ja abgelehnt, mit zur Milchkontrolle auf den Hof zu gehen.
„Waren die beiden übergeschnappt?“, fragte er. „Was wollten die denn dort?“
„Ines ist immer noch der festen Überzeugung, dass ihr Liebhaber von Horst umgebracht worden ist. Und weil wir nichts gefunden haben, obwohl ich, das muss ich zugeben, auch so denke, wollte sie das in die eigene Hand nehmen.“
„Da haben zwei Mädchen ein bisschen zu viele Krimis gesehen“, meinte Allmers. „Gott sei Dank ist nichts passiert. Lass das bloß nicht Rosemarie wissen, die reißt mir den Kopf ab.“
„Allerdings muss ich sagen“, der Staatsanwalt senkte die Stimme, so als ob jemand mithören würde, „sie hat da eine merkwürdige Sache entdeckt. Sie sagt, dass das Schlafzimmer von Alex vollkommen neu eingerichtet sei. Sie könne das genau sagen, sie habe schließlich oft genug darin geschlafen.“
„Na und?“, fragte Allmers. „was ist daran so komisch?“
„Alex hatte sich laut Horst und seiner Schönen ja nicht für immer abgemeldet. Da räumt man doch kein Zimmer um, wenn der Benutzer wieder zu kommen gedenkt, oder?“
„Aber mittlerweile ist er tot. Die könnten das Zimmer erst vor kurzem umgeräumt haben.“
„Das eine ist so plausibel wie das andere. Wir haben einfach noch keine Spur.“
„Das war ganz sicher ein grauenerregender Ritualmord“, spottete Allmers „mit weltumspannenden Verbindungen zu bolivianischen Kokainmördern. Oder zu Irene Hintelmann.“
„Danke für den Scherz. Kennst du eigentlich Peter Gerlach näher?“
„Natürlich. Der
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