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Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Titel: Milchgeld: Kluftingers erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr , Volker Klüpfel
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konnte er im Moment nichts für den Bürgermeister tun. Als dieser gerade Luft holte, um etwas zu erwidern, legte Kluftinger den Zeigefinger an die Lippen und deutete mit dem Kopf in Richtung der Kirchentür, aus der bereits Pfarrer, Töchter und der Rest des Trauerzugs herausgekommen waren und nun in Richtung Grab zogen. Auch Kluftinger schloss sich dem Zug an und hörte den Bürgermeister von hinten etwas zischen. Er verstand nicht genau, was es war, hörte aber, dass der Name »Lodenbacher« darin vorkam.
    Als die Trauergesellschaft am Grab stand, hatte es zwar nicht aufgehört zu nieseln, aber die Sonne war für einen kurzen Moment durch die Wolken gekommen. Die Folge war ein Regenbogen, der sich quer über den Horizont spannte. Das Grab von Philip Wachter lag auf der dritten Ebene des Friedhofs, gleich am Eingang. Man konnte die Berggipfel von hier aus sehen – jedenfalls wenn das Wetter schön war. Der Regenbogen erstreckte sich wohl von der Zugspitze bis in Höhe des Daumens, sinnierte Kluftinger. Wie gern wäre er jetzt dort gewesen, anstatt hier auf einer Beerdigung zu stehen. Vor seinem geistigen Auge sah er sich auf dem Gipfel stehen, seine Nase in die frische Bergluft halten, sah, wie ihm die Wanderer vom Gipfel aus zuwinkten, wie sie immer wieder winkten und winkten … Kluftinger löste sich aus seiner Phantasie. Irgendjemand winkte tatsächlich.
     
    ***
     
    Elfriede Sieber ging direkt hinter den Töchtern auf das offene Grab zu. Daneben stand, auf einem kleinen Podest aufgebahrt, der Sarg. Der plötzliche Anblick traf sie wie ein Schock. Mit einem Mal wurde ihr die Grausamkeit des Verbrechens, das sich hier, praktisch in ihrem zweiten Wohnzimmer ereignet hatte, bewusst. Auf einmal fuhr es ihr in alle Glieder: Was wäre gewesen, wenn sie an dem Tag nicht frei gehabt hätte? Was, wenn sie den Mörder überrascht hätte, als er sich gerade über den toten Wachter beugte? Ihr wurde es für einen kurzen Moment ganz schlecht. Nicht auszudenken, wenn heute nicht nur Philip Wachters, sondern auch ihre Beerdigung begangen worden wäre …
    Sie ließ ihren Blick schweifen, wollte irgendetwas, irgendjemanden finden, den sie ansehen konnte, der ihrem Blick Halt geben und sie auf andere Gedanken bringen würde. Sie hatte Angst, sie würde sonst schwach werden und mit einem Schlag im offenen Grab landen. Und sollte sie sich dabei nicht das Genick brechen, so würde sie ganz sicher aus Scham über die Peinlichkeit dieser Situation sterben.
    Da sah sie den Regenbogen. Gott, wie schön, dachte sie. Das ist ein Zeichen, das muss ein Zeichen sein. Sie stellte sich das Farbenspiel als Brücke vor, über die Philip Wachters Seele in den Himmel aufsteigen würde. Sie begleitete seine Seele mit den Augen auf ihrer Reise, fing unten an, stieg höher und höher um dann … Plötzlich wurde es still. Jedenfalls empfand Elfriede Sieber es so. Es war, als wären auf einmal alle Geräusche um sie herum verschwunden. Denn dort, etwa in der Mitte des Regenbogens, ein klein wenig abseits vom Rest der Trauergemeinde, aber doch noch nicht weit genug weg, dass es auffallen würde, stand ein Mann. Ein Mann, den sie kannte. Ein Mann, der erst wenige Tage vor Wachters Tod noch bei ihm gewesen war.
    An sich war es ja nichts Ungewöhnliches, dass auch mal Besuch da war. Aber eigentlich kannte sie die Freunde und Kollegen ihres Arbeitgebers. Und noch etwas war ungewöhnlich gewesen an diesem Besuch: Normalerweise pflegte Wachter derartige Einladungen auf Tage zu legen, an denen sie da war. Denn die anderen gehörten seinen Freundinnen. So hatte Frau Sieber jedenfalls gehört, aber sie hatte sich natürlich an diesen Spekulationen nie beteiligt. Auch wenn sie an ihren Putztagen schon mal das eine oder andere Utensil gefunden hatte – etwa eine Seidenstrumpfhose – das darauf hinwies, dass Wachter weiblichen Besuch empfangen hatte.
    Wie auch immer: Mit diesem Mann war es anders gewesen. Wachter hatte ihr den Nachmittag frei gegeben, weil er wichtige Sachen zu erledigen hatte. Sie hatte nicht gefragt, um was es sich handelte, schließlich war sie nicht neugierig. Aber interessiert hätte es sie schon. Und als sie nach dem Einkaufen doch noch einmal in die Wohnung zurückgekommen war, hatte sie die lauten Stimmen der Männer aus dem Wohnzimmer gehört. Sie hatte – ganz zufällig – durch einen Spalt in der Türe das Gesicht des jungen Mannes gesehen, der jetzt unter dem Regenbogen stand.
    Sie hatte sich schon damals gedacht, dass der

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