Milchgeld: Kluftingers erster Fall
zugeschnittene Ansprache zu halten sondern ihn nur einmal kurz erwähnte, schaltete er innerlich ab.
Er ließ seinen Blick über die Trauergäste schweifen. Die beiden Töchter schienen jetzt nicht mehr so gefasst, wie er sie noch vor kurzem erlebt hatte. Vielleicht fuhr den beiden der Schock über den Tod ihres Vaters erst jetzt so richtig in die Glieder. Die beiden waren allerdings die einzigen, die einen wirklich betroffenen Eindruck machten. Na ja, bis auf Elfriede Sieber vielleicht, die er gleich hinter den jungen Frauen erblickte.
Er sah Bartsch, der sich im stilvollen dunkelgrauen Zweireiher etwa in der Mitte der Kirche niedergelassen hatte; Schönmanger saß daneben, darauf folgte ein junger, ebenfalls sehr gut gekleideter, blonder Mann. Es war Schönmangers Sohn, den Kluftinger, soweit er sich erinnern konnte, noch nie in der Kirche gesehen hatte. Es sah auch einige fremde Gesichter – kein Wunder, wollten doch viele ihren Verwandten und Bekannten erzählen können, dass sie bei der Beerdigung eines echten Mordopfers waren, dachte Kluftinger bitter.
Sein Blick ging auf Wanderschaft, aber in Ermangelung weiterer interessanter Trauergäste richtete er ihn nach oben an die Decke des Kirchenschiffs. Die Gemälde faszinierten ihn immer wieder. Er konnte nicht sagen, ob es große Kunst war, was da in der Kirche zu sehen war, dazu verstand er zu wenig davon.
Aber groß waren sie, soviel stand fest. Sein Blick blieb an einer Darstellung des Kirchenpatrons, des heiligen Blasius, hängen. Er beugte sich mit wallendem Gewand, Bischofsstab, Heiligenschein und zwei Kerzen zu einem Kind hinunter, das verstört aussah. Der Kommissar kannte die Geschichte: Blasius hatte das Kind mit einem Gebet vor dem Erstickungstod bewahrt. Er wurde von Soldaten abgeführt, der Junge drohte an einer Gräte zu ersticken. Das musste so im 4. Jahrhundert gewesen sein. In Religion war Kluftinger immer gut gewesen. Später wurde daraus dann ein Segen, bei dem der Pfarrer die Worte sprach »Auf die Fürsprache des heiligen Blasius bewahre dich der Herr vor Halskrankheit und allem Bösen.«
Es war schon eine Ironie des Schicksals, dass Wachter ausgerechnet in dieser Kirche zu Grabe getragen wurde. Kluftinger fragte sich, ob Wachter wohl jemals den Blasiussegen empfangen hatte. Und selbst wenn: Ob der auch gegen Strangulation half, wagte Kluftinger zu bezweifeln. Als er bemerkte, dass er bei dem Gedanken lächeln musste, vertiefte er sich schnell schuldbewusst in ein Gebet.
***
Als sich der Pfarrer auf den Weg nach draußen machte, nickte ihm Elfriede Sieber dankbar zu. Es war wieder ergreifend gewesen, fand sie, der Pfarrer hatte wie immer genau die richtigen Worte gehabt. Worte über Gott und Liebe und … na ja, eben Worte, wie sie nur der Pfarrer fand. Sie ließ die beiden Töchter des Toten vorbeiziehen und reihte sich dann sofort in den Trauerzug ein. Als sie schon draußen waren bemerkte sie den Kommissar, in dessen Büro sie gestern noch die Aussage gemacht hatte. Sie wollte ihn grüßen, aber er war in ein Gespräch mit dem Bürgermeister vertieft. Gesenkten Hauptes folgte sie dem Pfarrer ans Grab.
***
Als die Kirche zu Ende war, beeilte sich Kluftinger, als einer der ersten nach draußen zu kommen. Zum einen wollte er vermeiden, dass ihn alle Trauergäste sahen, zum anderen wollte er gute Sicht auf diejenigen haben, die bei der Zeremonie anwesend waren. Als er durch das Portal auf den Friedhofsvorplatz trat, hatte es gerade zu nieseln begonnen. Er stellte den Kragen seines Sakkos hoch. Seine Frau hätte das wahrscheinlich ziemlich unpassend gefunden. Immer noch besser als nass zu werden, dachte er sich hingegen.
Auf dem Vorplatz waren bereits einige Menschen zusammengekommen, die zwar der Beerdigung beiwohnen, sich die Kirche aber sparen wollten. Vermutlich kannten sie den Pfarrer.
Kluftinger erblickte ein paar betont elegant gekleidete Männer und Frauen, von denen er annahm, dass sie zu Wachters Golf-Freunden gehörten. Er nickte in die Runde, sein Gruß blieb jedoch unerwidert.
Plötzlich spürte Kluftinger eine Hand auf seiner Schulter. »Hab mir schon gedacht, dass du auch da bist«, sagte die dazugehörige, tiefe Stimme. Es war Paul, der erste Posaunist der Musikkapelle.
Kluftinger seufzte. Einerseits war er froh, ein vertrautes Gesicht zu sehen, andererseits wusste er genau, was jetzt kommen würde. Und es ging sofort los: »Sag mal«, fing Paul mit gedämpfter Stimme an und legte dabei einen Arm auf
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