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Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Titel: Milchgeld: Kluftingers erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr , Volker Klüpfel
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Unterkiefer vor und beschrieb damit von unten nach oben einen Halbkreis, der am Schluss in einem kantigen, nach rechts oben gerichteten Zucken kulminierte. Dabei riss sie, je länger die Bewegung dauerte, immer weiter die Augen auf, so dass sie ihr fast aus dem Gesicht zu quellen schienen. Den Blick hatte sie dabei die ganze Zeit auf den Kommissar gerichtet.
    Fast schien es, als wolle sie ihm irgendein Zeichen geben. War es das? Wollte sie ihm etwas zeigen? Der Kommissar blickte sich in beide Richtungen um, aber er konnte nichts Verdächtiges erkennen.
    Jetzt wurde es ihm zu bunt. Er schob sich mit einem unverständlich gemurmelten »Tschuldigung« an den Trauernden vorbei auf Frau Sieber zu. Je näher er dem Grab kam, desto dichter wurde die Menschenmenge und Kluftinger erntete auf seinem Weg heftiges Kopfschütteln. Die Putzfrau hätte ihm auch etwas entgegen kommen können, dachte er sich.
    Dann hatte er sie endlich erreicht. »Was gibt’s denn?«, zischte er lauter als er eigentlich wollte und erntete dafür einen strengen Blick des Pfarrers.
    »Öch könne dön Mönn«, flüsterte die Sieber und Kluftinger verstand sie kaum, weil sie dabei ihren Mund nicht öffnete, sondern beinahe wie ein Bauchredner ohne Lippenbewegung sprach.
    »Ich verstehe kein Wort, sie müssen schon deutlicher sprechen«, erwiderte Kluftinger nun ziemlich gereizt.
    »Den Mann. Ich kenne den Mann«, kam es nun etwas verständlicher von ihr.
    »Wen?«, fragte er. Als Antwort ruckte ihr Kopf wieder von links nach rechts und ihr Unterkiefer wies in eine bestimmte Richtung. Kluftinger folgte dieser Richtung mit seinen Augen, wusste aber immer noch nicht, wen sie meinte.
    »Kreuzkruzitürk’n, wen meinen Sie denn jetzt?«, schimpfte er.
    »Na den da!«, schrie die Frau plötzlich aus vollem Hals, streckte dabei ihren Arm nach vorne und deutete mit dem Zeigefinger. Schlagartig wurde es still. Alle Köpfe ruckten herum und unzählige Augenpaare glotzten auf den Kommissar und die Haushälterin.
    Kluftinger schluckte. Dennoch ignorierte er die Hitze, die ihm jetzt in den Kopf stieg. Er folgte dem Finger, der starr von Siebers Körper nach rechts wies. Er wusste sofort, wen sie meinte. Nicht nur, weil sich dort, hinter dem Grab, nur wenige Menschen locker postiert hatten. Nein, er sah die Erkenntnis in den Augen des anderen, dass er gemeint war. Er sah das kurze Entsetzen in diesen Augen aufflackern. Einen Blick, den er von ungezählten Festnahmen kannte. Auch die anderen Trauergäste blickten in die gewiesene Richtung, wussten aber nicht so recht, wer denn nun gemeint war. Kluftinger wusste es, aber auch der andere wusste, dass Kluftinger es wusste. Ganz langsam drehte er sich um und ging.
    »Halt!«, schrie Kluftinger. »Bitte bleiben Sie stehen.«
    Der Mann drehte sich nicht mehr um. Statt dessen fing er an zu laufen. Er rannte weiter nach rechts in Richtung Ausgang. Sofort setzte sich auch Kluftinger in Bewegung. Er schob unsanft Elfriede Sieber zur Seite, drängte sich am Grab vorbei durch die dichte Menge, setzte Ellenbogen ein, schrie »weg, weg« um sich Platz zu verschaffen, aber die Menschen blieben wie angewurzelt stehen. Der Schreck war ihnen in die Glieder gefahren und machte sie schwer und unbeweglich. Kluftinger handelte ganz instinktiv, sah sich selbst dabei zu, wie er die Menschen beiseite schob, wie er dem Pfarrer versehentlich in die Rippen stieß und dieser ins Straucheln geriet, wobei sein Gebetbuch herunterfiel und den Weihwasserkübel so ungünstig traf, dass dieser umfiel. Endlich hatte sich Kluftinger aus der Menschenmenge befreit. Er sah in die Richtung, in die der Mann gelaufen war. Er war bereits bei der Treppe angelangt, die ihn hinunter zur nächsten Ebene des Friedhofs bringen würde. Die war durch dichte Hecken von Blicken aus der oberen Ebene abgeschirmt.
    Kluftinger musste sich beeilen, wenn er ihn noch erwischen wollte. Aber der Mann war schnell und vor allem war er wesentlich jünger als der Kommissar. Kluftinger entschied sich deshalb für den direkten Weg, übersprang ein Grab nach dem anderen und näherte sich mit Riesenschritten der Treppe. Er konnte den Mann jetzt nicht mehr sehen, aber er hatte aufgeholt. Nur noch ein frisch aufgeschütteter Grabhügel mit ein paar vertrockneten Kränzen lag zwischen ihm und der Treppe. Kluftinger setzte zum Sprung an.
    Noch bevor er richtig losgesprungen war, wusste er schon, dass er es nicht schaffen würde. Er war auf dem feuchten Kiesboden leicht nach hinten

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