Milchgeld: Kluftingers erster Fall
oberen Etagen des Polizeigebäudes.
Strobl stand gerade am Kopierer, als Kluftinger seine Etage erreichte. Er grüßte seinen Vorgesetzten. Nun nicht mehr ganz so verschlafen wie morgens am Telefon, berichtete der Beamte, dass vor einer halben Stunde Julia Wagner angerufen und ihre Schwester für das Gespräch entschuldigt habe. Sie sei bei Freunden am Bodensee und könne so kurzfristig nicht kommen, zudem würde sie im Laufe des Tages noch nach Italien abreisen.
»Dann hat sie mich gefragt, ob das in Ordnung wäre, wenn nur sie kommt«, sagte Strobl, an dessen stoppeligem Gesicht Kluftinger sah, dass er sich heute Morgen im Bad nicht die gleiche Mühe gegeben hatte wie an einem Werktag.
»Ja, und?«
»Ich hab gesagt, das reicht schon, wenn sie kommt, ich hoffe, das war recht so«.
»Ja, das sollte reichen, sie wird uns schon weiterhelfen können.«
Kurz nachdem die beiden in Kluftingers Büro gegangen waren, klopfte es bereits an der Tür zum Büro und ein uniformierter Beamter begleitete Julia Wagner bis zum Kommissar.
Julia hatte wieder ein dunkles Kostüm an, das sie erneut sehr seriös wirken ließ. Sie hatte sich kaum an den Schreibtisch des Kommissars gesetzt, da legte ihr Kluftinger ohne Umschweife die Fotoalben vor. Er fragte sie, ob ihr daran etwas auffalle. Sie blätterte zwei von ihnen oberflächlich durch.
»Das sind die Fotoalben unserer Familie, ich kenne die Bilder, was sollte mir daran auffallen? Soviel ich sehen kann, fehlen | auch keine Bilder, sonst würde man ja die Lücken bemerken …«
»Nun, Frau Wagner, es fehlen die Jahrgänge 1970 bis 1986. Was wir von Ihnen nun gern wissen würden ist, ob sie dafür vielleicht eine Erklärung haben. In der Wohnung Ihres Vaters waren sie nicht zu finden, obwohl sein Bücherregal ansonsten geradezu akribisch geordnet war. Wenn Sie die Alben kennen, könnten Sie uns vielleicht sagen, welche Fotos die betreffenden Jahrgänge ungefähr enthielten?«
»Wissen Sie, ich kenne sie nicht gerade auswendig, aber ich nehme an, dass sich in ihnen nicht viel Interessanteres finden wird, als in den Alben, die vor uns liegen: Fotos von uns Kindern, Urlaubsbilder, Bilder von irgendwelchen Familienfeiern. Nichts Weltbewegendes. Wir waren damals eigentlich jedes Jahr zwei oder drei Wochen mit Lutzenbergs im Sommerurlaub, da wird Vater die meisten Bilder gemacht haben.«
»Meinen Sie, jemand könnte ein Interesse daran gehabt haben, die Fotos verschwinden zu lassen?«
Julia lächelte für einen kurzen Moment. »Meine Schwester und ich vielleicht, damit uns niemand mit Bildern erpresst, auf denen wir nackt im Planschbecken mit den Nachbarsjungen spielen. Meine Mutter und Frau Lutzenberg vielleicht, damit die Beweise für die schrecklichen Frisuren, die sie damals hatten, aus der Welt geschafft sind. Im Ernst, Herr Kommissar, wer sollte Interesse an langweiligen Familienbildern haben?«
»Ich dachte nur, Ihnen würde dazu etwas einfallen. Aber etwas anderes, Frau Wagner: Die Familie, die sie gerade erwähnt haben, waren enge Freunde Ihrer Eltern?«
»Lutzenbergs? Damals ja. Sie hatten einen Sohn im gleichen Alter wie wir und Herr Lutzenberg und mein Vater waren so etwas wie die besten Freunde. Sie kannten sich vom Studium und schließlich haben sich die Ehefrauen auch angefreundet. Die gemeinsamen Urlaube waren schon schön, meine Mutter hatte jemanden zum Shoppen, mein Vater jemanden zum Tennis und wir Kinder jemanden zum Spielen.«
»Waren denn Lutzenbergs auf der Beerdigung?«, fragte Kluftinger, der nun etwas hatte, wo er einhaken konnte, ohne genau zu wissen worauf er hier hinauswollte. Er ließ sich von seiner Intuition treiben.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Der Kontakt riss irgendwann ab. Ich glaube, ich würde die Lutzenbergs gar nicht mehr kennen, wenn sie mir heute auf der Straße begegnen würden.«
»Ihr Vater ließ also den Kontakt zu seinem engsten Freund einfach einschlafen?«
»Nicht gerade einschlafen. Es gab wohl ein Zerwürfnis zwischen den beiden, daraufhin verkehrte unsere Familie nicht mehr mit den Lutzenbergs. Es ging, glaube ich, um etwas Berufliches, denn bis dahin hatten Lutzenberg und mein Vater eng zusammengearbeitet. Gut möglich, dass Lutzenberg auf den Erfolg neidisch war. Ihm ging es beruflich wohl nicht so rosig. Wahrscheinlich passten die beiden – der Erfolgsmensch, der mein Vater war, und Lutzenberg – nicht mehr zusammen.«
»Woher wissen Sie, dass er berufliche Probleme hatte, wenn es zu den Lutzenbergs doch keinen
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