Milchgeld: Kluftingers erster Fall
Doch heute hatte er die gute Kanne genommen. Für sie.
Sie dachte sich, dass er doch gar nicht so ein Holzklotz war, er hatte eben nur eine sehr rauhe Schale. Sie strahlte ihm ein freudiges »Guten Morgen« entgegen, berührte ihn an der Schulter und Kluftinger sah mit Zufriedenheit, dass das Gewitter über Nacht einem heiteren Sonnenschein Platz gemacht.
Den aufkeimenden Gedanken, wie einfach Frauen doch zu besänftigen seien, schob er beiseite, nahm sich aber vor, sich in den nächsten Tagen, wenn seine Frau in Urlaub sein würde, ausgiebig darüber zu freuen.
»Ich freu’ mich darauf, heute noch einmal einen richtig gemütlichen Tag mit dir zu verbringen«, sagte sie.
Dass er heute morgen schon mit Strobl telefoniert hatte, dass der verschlafen erzählt hatte, das Gespräch mit Wachters Töchtern bezüglich der fehlenden Fotoalben finde um zehn Uhr im Präsidium statt, behielt er vorerst für sich.
Die Standuhr im Wohnzimmer zeigte halb neun, und frühestens in einer Stunde müsste er ihr von seinen sonntäglichen Plänen erzählen. Bis dahin wollte er einfach den wiedergewonnenen Frieden genießen.
Nach harmonischen fünfundfünfzig Minuten am häuslichen Frühstückstisch wusste der Kommissar, dass es nun an der Zeit war, seinen bevorstehenden Ausflug ins Berufsleben anzukündigen. Er fühlte ein flaues Gefühl in der Magengrube und da er nicht wollte, dass es sich noch verstärkte, dachte er, er müsse nun tun, was ein Mann eben tun müsse und schenkte seiner Frau reinen Wein ein.
»Schatz, sei jetzt bitte nicht sauer, aber ich muss …« und in diesem Moment wusste er bereits, dass sie sogar sehr sauer sein würde. Er sah zu ihr hinüber und bevor er weiterreden konnte sah er die bewölkte Stirn seiner Frau, die schon loslegte:
»Nein, sag, dass das nicht wahr ist. Sag, dass du mir jetzt nicht, ankündigst, du müsstest irgendwohin. Nicht an diesem Morgen, nicht nach diesem Abend gestern, nachdem ich dir gerade verziehen habe. Du kannst jetzt nicht einfach gehen! Ich will diesen Sonntag, der so schön angefangen hat, ganz mit dir verbringen!«
Sie schimpfte vor sich hin, als er den Wagen aus der Garage fuhr.
***
Er fuhr ohne klare Vorstellung, wie das Gespräch mit Wachters Töchtern ablaufen würde, ins Präsidium.
Kluftinger empfand es als angenehm, dass hier immer Betriebsamkeit herrschte. Totale Sonntagsruhe war etwas, das er nicht sehr schätzte, und seitdem es den Bäckereien gestattet war, auch am Herrentag zu öffnen, kam es gar nicht so selten vor, dass Kluftinger frische Semmeln und eine Zeitung zum Frühstück holte. Meist aber nur, wenn ihr Sohn zu Hause war, denn das Ehepaar war sich stillschweigend einig darüber, dass es frische Semmeln am Sonntag nicht bräuchte. Ein Schwarzbrot war ohnehin gesünder und früher ist man ja auch ohne Semmeln ausgekommen.
Aber wenn Markus da war, dann genoss es der Familienvater, seine Lieben zu umsorgen. Und wenn eine Entschuldigung bei seiner Frau nötig war, wie heute, dann machte er sich auch schon mal auf den Weg, wenn noch alle im Hause schliefen. Und genoss die Stimmung in der Bäckerei. Er hatte dort immer das Gefühl einer seltsamen Solidarität. Die treuen Familienväter, die am Sonntag endlich frei hatten und ihren Angehörigen etwas Gutes tun wollten, waren ebenso zu finden, wie die frisch verliebten jungen Männer, die nach einer aufregenden Nacht ihren Freundinnen ein klassisches »Rama«-Frühstück bereiteten und danach an der Tankstelle noch eine Rose kauften. Auch mit den dynamischen, jungen, sportlichen Menschen, die vor der Kletter- oder Mountainbike-Tour noch eine Brotzeit holten, fühlte er sich verbunden. Am liebsten wäre er mit ihnen ins Auto gestiegen, um mit zum Bergsteigen zu gehen. Er war sozusagen unter seinesgleichen. Unter lauter Männern, die aus ähnlichen Gründen hier waren wie er. Sogar diejenigen, die sonst nicht unbedingt seine ungeteilte Sympathie genossen, die Fahrer jener Golf GTI, Peugeot 205, Opel Calibra oder ähnlicher Fahrzeuge, deren Spoiler fast am Boden streiften und bei deren Stereoanlagen er sich immer dachte, sie hätten einen eigenen, leistungsstarken Benzinmotor nötig, sah der Kommissar in dieser Situation mit anderen Augen. Auch sie gehörten zur großen Sonntagmorgen-Männergemeinschaft, Kluftinger ging an den Dienst habenden Beamten vorbei, grüßte, wies sie an, seine Gesprächspartnerinnen nach oben zu bringen, wenn sie denn eintreffen würden und machte sich auf den Weg in die verlassenen
Weitere Kostenlose Bücher