Milchgeld: Kluftingers erster Fall
hatten sich – im Nachhinein betrachtet – sehr auf die Alte verlassen. Zwar hatten sie die örtliche Polizei damit beauftragt, verschärft Streife vor dem Haus zu fahren, aber sie rechneten doch damit, dass die Alte ihnen Bescheid gegeben hätte, hätte sich etwas getan.
Für halb zwölf hatte Kluftinger eine Konferenz angesetzt. Er hatte aber nicht viel Hoffnung auf wirklich Neues.
Es klopfte an Kluftingers Tür und kurz darauf traten Strobl und Maier ein. Sie hatten die Kiste aus Lutzenbergs Zimmer in Weiler nun restlos durchforstet.
Maier klang nicht euphorisch, als er verkündete, sie hätten außer den Fotos, auf denen Wachter zusammen mit Andreas Lutzenbergs Vater zu sehen und auf denen das Gesicht Wachters entweder zerkratzt oder durchgestrichen war, kaum etwas Spektakuläres gefunden.
»Wir haben das alles durchgelesen. Viele der Texte, die wir gefunden haben, sind Kopien von Zeitungsartikeln über Wachters und Lutzenbergs gemeinsame Zeit. Entweder, der Vater hat die Zeitungsausschnitte gesammelt und Andreas hat sie dann gefunden, gelesen und kommentiert, oder er hat sie sich in irgendeinem Archiv oder einer Bibliothek besorgt«, vermutete Maier.
»Was hat er denn genau kommentiert an diesen Artikeln? Oder kann es auch sein Vater gewesen sein?«
Strobl kam Maier mit der Antwort zuvor:
»Also, das war der Sohn. Wir haben genügend Schriftproben, auch aus der Memminger Wohnung. Die Schriften sind sich zwar ähnlich, aber das war sicher der Sohn.«
Nun ergriff beinahe eifersüchtig Maier wieder das Wort.
»Was er geschrieben hat, ist eigentlich immer das gleiche. Er hat sich Stellen in den Artikeln angestrichen, in denen dem Vater seiner Meinung nach Unrecht getan wurde. Vor allem bei den Berichten, in denen Wachter hoch gelobt wird, stehen immer wieder Dinge wie ›unverschämt‹, ›infame Lüge‹ oder ›Schwein‹. Bei Stellen, in denen Wachter in einem Interview zitiert ist. Wir haben, denke ich, ein Motiv, das man als tiefen persönlichen Hass bezeichnen könnte. Offenbar hat er es Wächter nicht verziehen, dass er weiterhin Karriere machte.«
»Und sein Vater? Ich dachte, der hätte sich freiwillig aus dem Geschäft zurückgezogen und sich für die kleine Käserei entschieden«, sagte Kluftinger, wobei er nicht hoffte, von den bei den Kollegen darauf eine Antwort zu bekommen.
»Mir ist bei den Berichten noch etwas aufgefallen. Erst beim zweiten oder dritten Lesen. Ich weiß nicht, ich kann mich auch täuschen. Aber ich hab mich gefragt, warum der Lutzenberg so eine Wut auf den Wachter gehabt hat. Und durch seine Anstreichungen und Kommentare habe ich das erst bemerkt: Als das neue Verfahren gerade am Anfang stand, da schienen beide irgendwie gleichberechtigt. Sowohl Wachter als auch Lutzenberg werden interviewt, sie treten immer als Team auf. Immer reden beide von ihrem Projekt, von ihren Fortschritten, von ihrem Erfolg.«
Kluftinger hörte aufmerksam zu und forderte Maier mit einem zustimmenden Nicken auf, weiter zu sprechen. Auch Strobl hing, obwohl er ungefähr wusste, was er sagen würde, ebenfalls an Maiers Lippen.
»Und als dann in den Fachzeitschriften angekündigt wird, dass das neue Verfahren bald einsatzfähig sei, da kommt Lutzenberg eigentlich kaum noch vor. Auf einmal wird nur noch Wachter zitiert. Da spricht Wachter dann von seiner Entwicklung und seinem Institut. Lutzenberg wird nur am Rande genannt. Das fällt einem eben gar nicht so auf, da bin ich nur durch die Anmerkungen draufgekommen. Ja, und dann, beim Skandal, als der rauskam, da spricht Wachter wieder von beiden. Da nennt er sogar sehr oft Lutzenbergs Namen und stellt ihn fast so als den Frontmann hin. Als den Verantwortlichen. Ich weiß nicht, aber das würde vielleicht Lutzenbergs Wut auf Wachter erklären. Vielleicht hatte er das Gefühl, dass Wachter seinen Vater als Sündenbock haben wollte. Vielleicht hat es auch nichts zu sagen«, schloss Maier bescheiden.
»Logisch. Ja. Wenn das so wäre, dann ist auch klar, warum der Lutzenberg sich mit Wachter in Verbindung gesetzt hat. Vielleicht wollte er so etwas wie eine posthume Rehabilitation. Sehr gut, Maier, sehr gut.«
Maier strahlte über das ganze Gesicht. Er sonnte sich in diesem Lob.
»Ja, noch was haben wir gefunden in der Kiste«, hakte Strobl ein.
»Was denn?« Kluftinger war angetan vom Engagement seiner Kollegen.
»Hier«, sagte Strobl und legte einige Fotos auf den Schreibtisch seines Vorgesetzten. Der Kommissar warf einen schnellen Blick darauf.
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