Milchgeld: Kluftingers erster Fall
Man sah auf allen ein Haus, offenbar ein verlassenes Bauernhaus mit einer großen Halle, vielleicht einer ehemaligen Tenne oder einer Maschinenhalle. Davor stand auf einigen Bildern ein Lieferwagen, auf einem auch ein Sattelzug mit einer Plane auf dem Auflieger. Eine kleine Fotoserie dokumentierte wohl dessen Abfahrt von besagtem Haus. Nicht alle Fotos waren scharf und auf den meisten war es sehr dunkel oder zumindest dämmrig.
»Die Fotos zeigen immer diesen Bauernhof. Keine Ahnung, wo das sein kann. Es gibt da eigentlich keine Anhaltspunkte. Die Entfernung des Fotografen zu den Motiven muss ziemlich groß gewesen sein, man kann den Lastwagen nicht identifizieren, zumal auf dem Anhänger nichts steht. Die Kollegen im Fotolabor haben gesagt, die Nummer ist auf keinen Fall so zu vergrößern, dass man sie erkennen könnte.«
Kluftinger sagte halblaut, mitten im Überlegen:
»Warum hat er das fotografiert? Warum sind die Fotos in der Kiste mit den Fotos von Wachter und Lutzenbergs Vater und den Zeitungsausschnitten?«
»Irgendetwas war Lutzenberg da auf der Spur.«
Kluftinger besah sich die Fotos genauer. Vielleicht kannte er ja den Hof von einem Ausflug oder einer Wanderung. Vielleicht ließ sich eine charakteristische Landschaftsmarke ausmachen. Aber nichts. Rings herum nur Wiesen und ein kleines Wäldchen. In der Nachbarschaft konnte man einen anderen kleinen Hof erkennen. Auch dieser sagte Kluftinger nichts. Das konnte beinahe überall zwischen Bregenz und Augsburg sein. Nichts auch nur annähernd Charakteristisches.
»Wir müssen wissen, wo das ist und was da vorgeht. Das kann uns weiterbringen. Vielleicht kann man ein paar Luftbilder auswerten. Wenn die Amerikaner damals jeden Flecken im Irak kannten, jedes Schwimmbad von Saddam, dann werden wir ja im Allgäu einen Bauernhof finden. Klemmt ihr euch dahinter?«
»Ja klar. Werden schon was machen können«, sagte Strobl und zeigte dadurch, dass er sozusagen die Leitung dieses Teils der Ermittlungen implizit für sich beanspruchte.
Als die beiden das Zimmer verließen, betätigte Kluftinger den kleinen Hebel unter seinem Bürostuhl und kippte die Lehne ein Stück zurück.
Wer weiß, vielleicht war es wirklich Wachters Mörder, den sie da vor der Berghütte im Schlamm gefunden hatten. Aufklärung darüber konnte es aber doch nur geben, wenn sie seinen Mörder wiederum dingfest gemacht hatten. Kluftinger war verzweifelt. Zwei Stunden, vielleicht nur eine, waren sie zu spät zur Hütte gekommen.
Aber immerhin: Nun hatten sie wieder etwas, dem sie nachgehen konnten.
Er nahm sich einen Brauereiblock und notierte sich darauf, dass er einem seiner Mitarbeiter bei der nächsten Dienstbesprechung den Auftrag geben müsse, ehemalige andere Mitarbeiter Wachters oder Lutzenbergs zu finden. Immerhin hatten sie zusammen in einem Institut gearbeitet, möglich, dass die wussten, warum sich die beiden ehemaligen Partner so dauerhaft entzweiten, dass der Sohn des einen sogar nach dem Tod seines Vaters diese Geschichte nicht ruhen ließ. Dass die zwei Familien nicht mehr zusammenpassten, mochte die Erklärung sein, die sich Wachters Töchter zurechtgelegt hatten. Wobei Kluftinger nicht daran zweifelte, dass die beiden jungen Frauen tatsächlich davon überzeugt waren.
Kluftinger wählte die Kurzwahlnummer von Sandy und bat sie darum, bei der Gemeindeverwaltung in Weiler anzurufen und nach der Todesursache von Robert Lutzenberg, Andreas Vater, zu fragen. Die musste ja aus dem dort sicher noch vorhandenen Totenschein hervorgehen. Zudem brauche er die Anschrift des Arztes, der damals den Totenschein ausgestellt hatte.
Nicht, dass sich der Kommissar davon allzu viel versprochen hätte. Es interessierte ihn einfach zu erfahren, woran denn Robert Lutzenberg in recht jungen Jahren gestorben war.
Sandy tat ihr bestes, und nur etwa eine halbe Stunde später hatte er die Nachricht, dass Lutzenberg an Magenkrebs gestorben war. Zwar stand »multiples Organversagen« als Ursache im Totenschein, als einschlägige schwere Erkrankungen aber war Krebs vermerkt. Weitere zehn Minuten später klingelte Kluftingers Telefon. Sandy hatte eine Verbindung mit Lutzenbergs ehemaligem Hausarzt hergestellt.
In einem gepflegten Lindauer Dialekt, der die Nähe der Schweiz andeutete, erklärte der Arzt, dass Lutzenberg stets gastritisch gewesen sei. Mehrmals habe er Magengeschwüre gehabt, Koliken. Er sei unverbesserlicher Kettenraucher gewesen, immer etwas nervös, immer angespannt. Irgendwann habe
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