Milchgeld: Kluftingers erster Fall
versprochen. Kluftinger hatte einige Mühe, die Fragen diplomatisch-nichtssagend zu beantworten, ohne dabei unhöflich oder überheblich zu klingen.
»Ach weißt du, um den Wachter war’s nicht schad’, wenn du mich fragst«, beteiligte sich nun auch Johann an dem Gespräch.
Einige der Musiker, die mit am Tisch saßen, nickten.
Kluftinger wurde hellhörig. »Hast du ihn gekannt?«, fragte er.
»Nur vom Wegschau’n«, sagte er und wuchs nochmals um einige Zentimeter, als er für diesen Spruch Gelächter in der Runde erntete.
»Der hat uns doch die Milchpreise versaut«, schaltete sich das Tenorhorn in die Diskussion ein. Gregor Merk, der seinen Spitznamen daher hatte, dass ihn der Dirigent in den Proben immer mit dem Satz »Tenorhorn, schneller« zurechtwies, war Landwirt, genau wie Johann.
»Was soll das heißen, er hat euch die Milchpreise versaut?«, fragte Kluftinger und gab sich große Mühe, dabei zu klingen, als würde ihn die Antwort nur ganz privat interessieren.
»Ach, seit der da war, haben die doch viel weniger für die Milch bezahlt«, schimpfte Gregor.
»Das stimmt nicht ganz. Er war schon eine Weile da, bis die Preise gesunken sind. Marktwirtschaft, haben sie immer gesagt Ja, das glaub’ ich. Weil wir auf einmal mit jeder Mark wirtschaften mussten«, wetterte auch Johann und zeigte sich zufrieden über sein Bonmot.
»Und wie kommt ihr drauf, dass er was damit zu tun hat?«, wollte es Kluftinger nun endlich genau wissen.
»Weil die wegen dem teuren Gehalt von dem kein Geld für uns mehr übrig hatten«, redete sich Gregor in Rage. »Weil der abgesahnt hat und wir in die Röhre geschaut haben. Deswegen!«
Kluftinger wollte nicht weiter Öl ins Feuer gießen, seine Musikkollegen schienen bereits erregt genug. Er nahm sich aber vor, diesem Punkt noch genauer nachzugehen.
»Und, geht’s deinem Knie wieder besser?«, fragte Paul, der sich ächzend mit einer halben Bier zu ihm auf die Eckbank fallen ließ und Gregor mit den Worten »Jetzt lass da mal den Meister hin, Tenorhorn« verscheuchte. Kluftinger wusste, dass er auf seine Verletzung vom Friedhof anspielte, immerhin war Paul ja »live« dabei gewesen, als er Lutzenberg über die Gräber gejagt hatte. Der Gedanke, dass er ihn damals noch lebendig hätte fassen können, schmerzte ihn mehr als die Erinnerung an sein lädiertes Bein.
»Geht schon«, antwortete er dementsprechend kurz.
»War schon eine wilde G’schicht, die Beerdigung. Seitdem fragt jeder, der zum Spielen eingeteilt wird, ob du auch wieder da bist. Bist richtig berühmt geworden mit deiner Verfolgungsjagd.«
Kluftinger grinste gequält. Ihm war das Thema unangenehm.
»Du, was ich dich mal fragen wollte«, lenkte er deshalb das Gespräch auf ein anderes Thema, das er heute Abend noch hatte ansprechen wollen. »Weißt du zufällig, wo das ist?« Er zog aus seiner Gesäßtasche das Bild des Einödhofs, das sie in Lutzenbergs Kiste gefunden hatten.
Paul sah ihn misstrauisch an. »Hat das was mit dem Fall zu tun?«, wollte er wissen. In dem Moment wurde dem Kommissar bewusst, dass er sich keine glaubhafte Erklärung zurechtgelegt hatte, worum es sich sonst hätte handeln können. Auf die Schnelle konnte er aus den Gedankenfetzen, die ihm als mögliche Antwort durch den Kopf schossen, auch keine plausible Antwort zusammensetzen. Also antwortete er ehrlich: »Also … irgendwie schon.«
Sofort hellte sich Pauls Miene auf. »Also wenn das so ist … gib mal her«, erwiderte er plötzlich ganz aufgeregt und riss ihm das Bild geradezu aus den Fingern. Dass er nun möglicherweise den entscheidenden Hinweis in einem Mordfall würde geben können, schmeichelte offensichtlich seinem Ego. Deswegen sah er sich das Foto auch ganz genau an, drehte es, hielt es gegen das Licht, wendete es, als könnte er auf der Rückseite auch etwas erkennen. Dann sagte er enttäuscht: »Kenn ich nicht.« Und schob sofort nach: »Und du weißt: Keiner kennt sich hier in der Gegend so gut aus wie ich.«
»Ich weiß«, antwortete Kluftinger ehrlich. Und als er das Bild wieder einsteckte, fügte er noch hinzu: »Deswegen habe ich dich ja gefragt. Du hast mir aber auch so geholfen.«
Die Schmeichelei blieb nicht ohne Wirkung und Paul nahm einen tiefen, zufriedenen Schluck aus seinem Bierglas.
Kluftinger wusste nun immerhin, dass das Haus nicht in der Umgebung von Altusried stand. Hier kannte sich tatsächlich keiner so gut aus wie Paul.
***
Das Wochenende verbrachte Kluftinger, obwohl sich der
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