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Milchmond (German Edition)

Milchmond (German Edition)

Titel: Milchmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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auch aus einer Art von anders verstandener Liebe heraus? Tobias hatte diese Freundin auch zu lieben geglaubt. War es vorstellbar, dass er in den sechs Jahren ihrer Verbindung nicht erkannt hätte, wenn sie wirklich eine abgrundtief böse Person gewesen wäre…? 

Seine Predigt schloss Johannes mit der Bibelstelle von der Vergebung des Vaters, nachdem der verloren geglaubte Sohn zu ihm zurückgekehrt war und er deshalb ein großes Fest darüber feiern ließ. Du bist immer bei mir gewesen, was mein ist, ist dein. Freue dich über die Rückkehr deines Bruders, der tot war und wieder lebendig geworden ist, hatte der Vater zu seinem erzürnten, anderen Sohn gesagt.
   Ein tiefer Blick von Johannes traf Julia, und sie nickte ihm verstehend zu. Ja, er hatte Recht - sie musste ihr Herz entgiften und den Tätern vergeben - und sich selbst vergeben. Nur so würde sie ihren Frieden finden können. Sie atmetete tief durch, fiel dann mit ihrer schönen Stimme in den Gesang des nächsten Kirchenliedes
Wie ein Fest nach langer Trauer
mit ein und hatte auf einmal das Gefühl, als ob mit jeder Strophe ihr Herz ein wenig heiler wurde - so sang sie schließlich aus voller Brust den Text, dessen Bedeutung sie nun mit tiefer Rührung erfüllte.
 
Wie ein Fest nach langer Trauer, wie ein Feuer in der Nacht, ein offnes Tor in einer Mauer, für die Sonne auf- gemacht. Wie ein Brief nach langem Schweigen, wie ein unverhoffter Gruß, wie ein Blatt an toten Zweigen, ein Ich-mag-dich-trotzdem-Kuss.

Refr.:
So ist Versöhnung, so muss der wahre Friede sein.
So ist Versöhnung, so ist vergeben und verzeih'n.

Wie ein Regen in der Wüste, frischer Tau auf dürrem Land, Heimatklänge für Vermisste, alte Freunde Hand in Hand.
Wie ein Schlüssel im Gefängnis, wie in Seenot Land in Sicht, wie ein Weg aus der Bedrängnis, wie ein strahlendes Gesicht.

Refr.:
So ist Versöhnung, so muss der wahre Friede sein.
So ist Versöhnung, so ist vergeben und verzeih'n.

Wie ein Wort von toten Lippen, wie ein Blick, der Hoffnung weckt, weil ein Licht auf steilen Klippen, wie ein Erdteil neu entdeckt.
Wie der Frühling, wie der Morgen, wie ein Lied, wie ein Gedicht, wie das Leben, wie die Liebe, wie Gott selbst, das wahre Licht.

Refr.:
So ist Versöhnung, so muss der wahre Friede sein.
So ist Versöhnung, so ist vergeben und verzeih'n. 

Die Orgel verklang, und während ihr Bruder die Abkündigungen verlas, hörte sie nicht mehr hin, sondern vernahm in ihrem Herzen ein leichtes Ziehen, verbunden mit einer unbestimmten Hoffung, einer neuen Zuversicht, die ihr noch vor einer halben Stunde völlig undenkbar schien. Ja, wieder einmal hatte Johannes die richtigen Worte für sie gefunden und ihr Herz geheilt. Sie war stolz, einen solchen Bruder zu haben!

Nachdem Johannes den Segen gesprochen und mit ausholenden Armbewegungen feierlich das Kreuz geschlagen hatte, schickte die Gemeinde sich an, gemessenen Schrittes hinaus zu gehen. Julia schloss sich als Letzte dem kleinen Zug an. Eine größere Lücke klaffte zwischen ihr und den Vorausgehenden. Johannes verabschiedete am Ausgang seine Schäfchen mit Hand-Schlag und herzlichen Worten. Plötzlich sah sie, wie Claudius an den Besuchern vorbei drängte, mit etwas auf dem Arm, das sie nicht gleich erkennen konnte. 
   Laut quietschend und völlig ungeachtet des heiligen Ernstes der Kirchenbesucher, nahm er seine Tante ins Visier und lief mit ausgestreckten Armen auf sie zu, mit einer Puppe, die sie beim näher Kommen - ihr Herz stockte, das konnte doch nicht sein (?), ihr Blick verengte sich schlagartig und ein Dröhnen begann in ihren Ohren zu brausen, das Kind schwebte geradezu in der Luft, die  Bewegungen schienen merkwürdig  eingefroren zu sein – Großer Gott, nicht diese Puppe!

Claudius hielt ihr die Kasperpuppe entgegen!

    -  Der Traum von vorgestern mit dem Windel-Po-Kind!

     

Sie stand wie erstarrt - was passierte hier? Dann sah sie zu Johannes, der an der Kirchentür stand. Er sah sie lächelnd an und neben ihm stand Karen und zwischen ihnen - TOBIAS!
   Einen kurzen Moment nur setzte ihr Herzschlag aus, dann gewann die Szene wieder ihren normalen Bewegungsablauf: Julia fing Claudius auf und lief mit ihm auf dem Arm, erst zögernd, dann immer schneller werdend, nach vorn auf das helle Tageslicht am Kirchenausgang zu, auf ihre Zukunft zu, auf die Erfüllung ihrer Träume zu, auf den Mann zu, der für sie vorherbestimmt war    
       - auf  Tobias ...!

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