Miles Flint 01 - Die Verschollenen
dass das Kind, das sie beanspruchen können, auch das Kind ist, das sie bei sich hatten.« Flint achtete darauf, in einem selbstsicheren Ton zu sprechen. Er kaufte wieder einmal Zeit, aber er wollte dabei nicht zu offensichtlich vorgehen.
»So ungern ich es sage«, entgegnete Reese, »aber wenn die Wygnin im Fall von Mrs. Wilder Recht haben, dann haben Sie bei Ennis auch Recht.«
»Aber sie können nicht beweisen, dass sie Recht haben«, wandte Flint ein. »Und das ist alles, was für uns zählt.«
»Außerdem gibt es keine Garantie, dass sie Recht haben«, sagte Carryth sanft. »Sie könnten den Vollzugsbefehl an den für Jasper Wilder angehängt haben, damit wir in Bezug auf Ennis Kanawa derartige Schlussfolgerungen ziehen.«
Reese bedachte ihn mit einem panischen Blick. »So verschlagen sind die doch nicht.«
»Das wissen wir nicht«, gab Carryth zurück. »Wir versuchen, keinen Handel mehr mit ihnen zu treiben, weil wir nicht immer verstehen, was sie denken.«
Reese fluchte. »Wenn wir das Kind gehen lassen und sie dann beweisen, dass es ihnen gehört, könnten wir uns eine Menge Schwierigkeiten einhandeln.«
»Man erwartet von uns, die Gesetze der Wygnin auf deren Boden zu respektieren«, sagte Flint und zwang sich, in ruhigem Ton zu sprechen, obwohl sein Herz aufgeregt pochte. »Dann können sie hier auch unsere respektieren. Wir können diese Familie nicht länger festhalten, als wir es bereits getan haben. Tatsächlich haben wir den Jungen schon länger in Gewahrsam, als zulässig ist.«
»Er hat Recht«, erklärte Carryth. »Sie müssen sie gehen lassen.«
Reeses Panik schien sich zu steigern. Er sah sich der Tür, die Wilders Aufmerksamkeit gefangen hielt, der vermutlich noch immer die Wygnin vor ihr sehen konnte. »Wenn die Wygnin dann aber den richtigen Vollzugsbefehl vorlegen, wer wird sich dann mit ihnen auseinandersetzen?«
»Sie«, antwortete Flint.
»Und das vermutlich vor Gericht«, fügte Carryth hinzu.
»Warum landet so etwas bei uns. Warum konnte die Erde die nicht abfangen. Oder der Mars? Wie kommt es, dass wir uns mit diesem Fall herumschlagen müssen?«
Carryth wechselte einen Blick mit Flint, aber keiner der beiden sagte etwas. Flint fragte sich, wie Reese wohl reagieren würde, wenn er wüsste, dass noch ein ganzer Haufen derartiger Fälle auf sie zukam, solange niemand Disappearance Inc. das Handwerk legte.
Reese strich sich mit der Hand übers Haar. »Wird von mir erwartet, dass ich die Wygnin darüber informiere?«
»Nein«, antwortete Flint. »Wenn sie den korrekten Vollzugsbefehl vorlegen können, erklären Sie ihnen, dass wir unsere Gesetze befolgen mussten.«
»Was, wenn ich sie trotzdem informiere?«, fragte Reese Carryth und wandte sich dabei demonstrativ von Flint ab.
»Dann würden Sie im besten Interesse unserer Stadt handeln.« Carryth bedachte Flint mit einem Seitenblick. Offensichtlich ahnte er, dass Flint etwas im Schilde führte, und er war bereit, ihm zu helfen. »Sollte hingegen jemand beweisen können, dass Sie unsere Gesetze aus Eigennutz nicht befolgt haben, könnte das reichen, Sie zu feuern, vielleicht sogar, Ihnen die Zulassung zu entziehen.«
Reese fluchte wieder und musterte Flint mit finsterem Blick. »Lassen Sie sie gehen. Aber machen Sie ihnen klar, dass sie in der Minute wieder herzukommen haben, in der wir sie rufen.«
»Das werde ich«, versicherte ihm Flint.
»Das will ich Ihnen auch geraten haben.« Und mit diesen Worten schob sich Reese an ihm vorbei und ging ins Besprechungszimmer.
Carryth machte Anstalten, ihm zu folgen, hielt aber kurz vor der Tür inne. »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.«
»Das weiß ich«, erwiderte Flint und hoffte, dass er niemanden würde enttäuschen müssen – vor allem nicht sich selbst.
28
E in Pochen an der Tür ließ Jamal aufschrecken. Sein Blick fiel auf Dylani. Sie sah verängstigt aus. Ennis brach in Tränen aus.
Er schmiegte sich an Dylanis Schulter. Sie hatte ihn im Zimmer herumgetragen und versucht, ihn zu beruhigen. Er war schon den ganzen Morgen unruhig gewesen, aber erst jetzt hatte er angefangen zu schluchzen.
Das Pochen erklang ein zweites Mal. Jamal zitterte. Sie waren gekommen, um ihm Ennis endgültig wegzunehmen. Er wusste es. Diese letzten Stunden, so kostbar sie gewesen waren, stellten nur den Anfang seines persönlichen Gangs durch die Hölle dar. Er würde sich ihrer stets als jener Stunden erinnern, in denen er sein Kind für immer im Stich gelassen hatte.
»Sie
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