Miles Flint 02 - Die Lautlosen
würde seine eigene Gesellschaft der ihren vorziehen (ein Vorwurf, der sich nach dem Tod seiner Tochter als korrekt herausgestellt hatte) –, doch nun erkannte er, dass er bis zum letzten Jahr nie wirklich allein gewesen war.
Flint hatte Freunde am Arbeitsplatz gehabt, Leute, die er jeden Tag gesehen hatte, mit denen er wirklich interagiert hatte. Und er hatte sich mit Kriminellen herumgeschlagen und mit Leuten, die nur versehentlich ein Gesetz gebrochen hatten. Als er für die Polizei von Armstrong gearbeitet hatte, war er nie allein gewesen, nicht, bevor er sich für seine allnächtlichen vier Stunden Schlaf in sein Appartement zurückgezogen hatte.
Nun schlief er acht Stunden, und niemand bemerkte etwas davon. Ganze Tage vergingen, an denen er sich über nichts Tiefsinnigeres als über die Nahrungsmittel unterhielt, die er zum Frühstück zu verspeisen gedachte. Und obwohl er viel Zeit damit verbrachte zu lernen, fehlte es ihm an Stimulation jener Art, die ihn schon immer fasziniert hatte: herauszufinden, was andere Leute – oder Aliens, was das betraf – dazu trieb zu handeln, wie sie handelten.
Kein Wunder, dass andere Lokalisierungsspezialisten so viele Fälle übernahmen. Oder die falschen Fälle. Das ewige Einerlei von einem Tag zum anderen fing an, Flint in den Wahnsinn zu treiben.
Tag sechzehn sah ganz so aus, als würde er sich nicht von den vorangegangenen Tagen unterscheiden. Der Vormittag war dem Nachmittag gewichen, und Flint saß noch immer hinter dem Schreibtisch und las die Neuigkeiten des Tages.
Die Berichte, die ihm sein Handheld lieferte, beinhalteten auch wirbelnde bunte Grafiken, aber er berührte nicht den Schirm, um sie zu öffnen. In jüngster Zeit hatte er festgestellt, dass er die reine Textdarstellung bevorzugte; Audio, Flachfilm, holografische Berichterstattung, das alles war mit einem Grad an Lärm verbunden, der ihn ablenkte und ihn sich fragen ließ, wieviel von dem Material echte Neuigkeiten waren und wie viel nur Getue.
Vielleicht war es die Stille. Flachfilme und holografische Nachrichten waren alle mit einer Audioaufnahme unterlegt, was hier, in diesem Büro, irgendwie unpassend zu sein schien. Paloma hatte in dem kleinen Raum stets für Stille gesorgt. Nicht einmal die Computeranlagen summten. Flint konnte das Geräusch seiner Schuhe hören, die über den Permaplastikboden strichen.
Ein Fenster öffnete sich auf seinem Desktop, und er betrachtete es. Das Fenster öffnete sich nur, wenn jemand seinen Umkreisalarm auslöste. Der Umkreisalarm wurde bereits einen halben Block von seinem Büro entfernt aktiviert und ging ungefähr ein Dutzend Mal am Tag los, kündete aber meist nur von Nachbarn oder Touristen.
Das alte Armstrong zog Woche für Woche eine Pfand voll Touristen an, die alle sehen wollten, was von der ursprünglichen Kolonie übrig geblieben war. Der größte Teil dieser ursprünglichen Kolonie war im Mondhistorischen Museum von Armstrong nachgebaut worden, das im City Center in der Innenstadt untergebracht war. Aber ungefähr vier Blocks der alten Gebäude standen immer noch, und die Touristen kamen, um sie sich anzusehen.
In diesem Moment erschien eine Frau in dem Fenster, die zielstrebig auf sein Büro zuhielt.
Ihr Haar war zurückgekämmt; das spitze Kinn ragte sichtbar hervor, und ihr Blick war direkt auf seine Tür gerichtet. Ihre Kleidung war für diesen Teil von Armstrong ungeeignet; der lange Mantel bedeckte einen engen Rock mit einem Schlitz an der Seite, und ihre nackten Beine waren staubbedeckt. Und ihre Schuhe waren ebenso unpassend wie ihre Kleider; die Absätze wiesen eine Höhe auf, wie sie nur die besonders reichen Vertreter beiderlei Geschlechts zur Schau zu tragen pflegten – und sie eierte bei jedem Schritt.
Flint studierte das Fenster und drückte dann auf die rechte obere Ecke, um die Frau heranzuzoomen. Sie kam ihm nicht bekannt vor, also war sie keine Bewohnerin dieses Teils von Armstrong, aber sie war eine Weile zu Fuß gegangen – anderenfalls wären ihre Beine nicht so staubig gewesen.
Wenn sie einen Luftwagen hatte, so hatte sie ihn einige Blocks entfernt geparkt, vermutlich dort, wo sich die Straßen zu frühkolonialer Breite verjüngten.
Flint drückte auf einen kleinen Knopf vor seinem Schreibtisch, woraufhin eine Tastatur aus ihrem Fach herausglitt. Paloma hatte nichts von Stimmerkennung oder Touchscreens gehalten. Sie war der Ansicht gewesen, dass diese Technik selbst von einem durchschnittlichen Hacker viel zu leicht
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