Miles Flint 02 - Die Lautlosen
weniger nervös als noch einen Moment zuvor.
Dennoch zerbrach sich Oliviari noch lange, nachdem der Mann fort war, den Kopf über das, was er ihr erzählt hatte. Eine Untersuchung brachte sie in eine schwierige Lage. In Armstrong waren Kopfgeldjäger verpflichtet, sich bei den Behörden zu melden, was theoretisch Selbstjustiz verhindern sollte. In den meisten Fällen nutzte Armstrong, als Haupthafenstadt des Mondes, jedoch eigene Mittel, um Kopfgeldjäger zu unterstützen, weil man der Ansicht war, dass Verschwundene nicht gut fürs Geschäft seien.
Sollte sie geschnappt werden, würde die Stadt trotzdem einige nicht unbedeutende Strafen verhängen, die sich auch in ihrer Akte niederschlagen würden. Die Erdallianz würde ihre Lizenz neu bewerten, und sie könnte ein Einreiseverbot für bestimmte Welten bekommen oder gezwungen sein, sich erneut für ihre Arbeit zu qualifizieren.
Schweiß rann über Oliviaris Gesicht. Ihr war furchtbar heiß. Hayley und den anderen erging es ebenso, jemand musste sich über die Umweltsysteme beschweren. Jemand musste herausfinden, was hier wirklich vorging.
Aber Oliviari konnte nicht diejenige sein. Sie hatte jetzt schon viel zu viel Aufmerksamkeit erregt, und sie wollte auf keinen Fall noch mehr Blicke auf sich lenken – besonders dann nicht, wenn die Polizei die freiwilligen Helfer ebenso überprüfte wie die Teilnehmer des Marathonlaufs.
Aber vielleicht stellte sich das alles am Ende sogar als Segen heraus. Wenn Tey an dem Marathon teilgenommen hatte, saß sie ebenfalls hier fest. Und wenn Tey nicht hier war, dann wusste Oliviari so oder so nicht mehr, wo sie sie suchen sollte.
Manchmal kam es Oliviari so vor, als wäre Tey nur ein Produkt ihrer eigenen Fantasie.
Oliviari lächelte dem nächsten Läufer in der Schlange zu, obwohl ihr ganz und gar nicht nach Lächeln zumute war. Sie streckte die Hand aus, und der Läufer reichte ihr den feuchten Anzug. Oliviari nahm eine DNA-Probe und legte ihn weg.
Sie würde mit der Arbeit fortfahren, bis irgendjemand sie daran hinderte. Und egal, welche Rückschläge sie heute hatte hinnehmen müssen, Oliviari würde Tey schnappen. Und dann würde dies alles ein Ende finden, für Oliviari und für die Familien von Teys Opfern.
Für alle.
13
I n dem System gab es mehr Geisterdateien, als Flint erwartet hatte.
Er verbrachte die restlichen Nachmittagsstunden damit, die Geisterdateien wiederherzustellen und in einem separaten System zu sichern, in dem sie von niemandem gestohlen werden konnten. Während er sich der Arbeit widmete, empfand er eine Mischung aus Ärger und Sorge, vor allem, weil Paloma offenbar nicht ganz so vorsichtig zu Werk gegangen war, wie sie ihn hatte glauben lassen.
Jeder, der über die Kenntnisse eines Hackers verfügte, hätte in ihr Dateisystem einbrechen und stehlen können, was immer er gerade brauchte.
Flint fragte sich, ob dergleichen vorgekommen war. Er fragte sich, ob Paloma in ihrer Karriere unerklärliche Misserfolge hatte hinnehmen müssen oder ob vielleicht ein Kopfgeldjäger ihr System dazu missbraucht hatte, Leute aufzuspüren, von denen Paloma gedacht hatte, sie wären gut und sicher versteckt.
Vielleicht war das der Grund, warum Wagner zu ihm gekommen war. Vielleicht wusste er, dass das interne Netz so extrem verwundbar war.
Flint hatte keine Chance, all die Informationen zu finden und herunterzuladen, die notwendigen Dateien zu lesen und rechtzeitig zu seinem Treffen mit Wagner fertig zu werden. Er würde seine Arbeit nach dem Gespräch mit Wagner beenden müssen –vorausgesetzt, er hatte die Zeit dazu; vorausgesetzt, er lehnte den Fall ab, den Wagner ihm so dringend anvertrauen wollte.
Während er arbeitete, wurde Flint zunehmend wütend auf sich selbst, weil er all das, was Paloma ihm hinterlassen hatte, nicht eingehend überprüft hatte. In ihm wuchs ein Gefühl der Desillusionierung, und das kam ihm vor wie eine Ironie. Er hatte geglaubt, jegliche Illusion sei schon vor zehn Jahren aus seinem Leben verschwunden.
Eine Stunde vor seinem geplanten Treffen mit Wagner programmierte Flint sein System, alle Geisterdateien im Speicher einbruchsicher zu vernetzen. Mit diesen Dateien würde er sich dann später befassen.
Während das System arbeitete, sicherte er die bereits wiederhergestellten Dateien gegen Missbrauch und durchsuchte sie nach Datensätzen, in denen die Wagners Erwähnung fanden. Zu seiner Überraschung wurden ihm Aberhunderte von Dateien am Bildschirm angezeigt, in denen
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