Miles Flint 04 - Das Marsgrab
Menschen hatten nicht aufgeblickt.
Ogden fragte sich, ob sie womöglich etwas falsch gemacht hatte.
Nummer Sechsundfünfzig starrte sie nur unverwandt an.
»Ich bedauere Ihren verständlichen Ärger, und mir ist bewusst, dass Eile vonnöten ist. Ich muss zugeben, dass ich in diesem Fall überfordert bin und nicht genau weiß, welche Möglichkeiten ich habe. Ich würde gern …«
»Uns ist egal, was Sie gern würden!«, unterbrach Nummer Sechsundfünfzig sie rüde. »Wir haben einen verbrecherischen Betrug und bodenlose Falschheit unter Ihren Leuten festgestellt. Diese hat eine beispiellose Krise unter meinen Leuten hervorgerufen. Wir werden den Mars vielleicht verlassen müssen. Haben Sie daran schon gedacht?«
Natürlich nicht. Sie hatte keine Ahnung, wovon er eigentlich sprach. Wie konnten die Disty den Mars verlassen? Sie beherrschten ihn.
»Bitte«, sagte sie.
Er klappte beide Hände ruckartig nach oben, eine Disty-Geste des Abscheus. »Nehmen Sie sich Ihre fünf Minuten! In dieser Zeit wird ein Dutzend Disty-Leben verloren sein, aber ihr Menschen habt bereits gezeigt, dass euch das nicht kümmert!«
Sie rührte sich nicht. Sie wusste nicht, ob sie es riskieren durfte. Mit seinen Worten hatte er ihr die Erlaubnis erteilt und im selben Atemzug wieder entzogen.
»Gehen Sie!«, forderte er sie auf. »Vergeuden Sie keine Zeit durch Herumstehen, oder ich weiß, dass auch Sie ein Teil dieser Verschwörung sind!«
Ogden flüchtete aus dem Zimmer, vergaß sogar die Abschiedsverbeugung, bis es zu spät und sie in der Vorhalle war. Sie schlug die Hände vor das erhitzte Gesicht. Sorenson stand da, die Augen geweitet. Er kaute an seiner Unterlippe.
Offensichtlich hatte er den Verlauf der Besprechung über ihre Links verfolgt. Ihr war es egal.
»Haben Sie Jefferson gefunden?«, fragte sie.
Sorenson schüttelte den Kopf. Statt zu sprechen, schickte er ihr seine Antwort über den Link: Ich glaube, er versteckt sich.
»Scheißkerl!« Sie musste nachdenken. Protokoll. Eine Klage eines Allianzangehörigen gegen einen anderen. Eine ernste Beschuldigung. Manche Gruppierungen bevorzugten öffentliche Verhandlungen, aber das hier klang einfach zu extrem. Wenn Jefferson nicht hier war, um sich der Sache anzunehmen, dann würde sie jemanden anderen brauchen, der für sie übernehmen konnte. »Was ist mit seinem Stellvertreter?«
»Antwortet nicht.«
Sie seufzte. Ohne die beiden konnte sie nichts tun, und die Disty erwarteten sofortige Abhilfe.
»Na gut«, sagte sie. »Ich brauche sämtliche Delegierten der Vereinigten Menschenwelten. Und holen Sie mir auch den Erdenbotschafter her! Die Repräsentantin des Mars ist bereits anwesend. Wir brauchen einfach jeden, den wir kriegen können!«
»Die passen gar nicht in den Raum.«
»Ich weiß!«, fauchte sie. »Öffnen Sie einen Ratssaal, und schicken Sie die Sicherheitskräfte los! Sie sollen Jefferson suchen. Wenn er oder sein Stellvertreter irgendwo hier in der Anlage sind, will ich, dass sie ergriffen und sofort in den Konferenzraum gebracht werden!«
»Das wird einen Zwischenfall auslösen«, gab Sorenson zu bedenken.
Ogden nickte. »Das ist das Geringste unserer Probleme.«
35
A ls Flint wieder in seinem Büro war, war die Nachricht schon in allen Netzen: Etwas Schlimmes war in der Saharakuppel passiert, und die Disty flohen. Die Berichte waren verworren. Niemand wusste, was die Disty so aufgeregt hatte, niemand wusste, warum noch mehr Disty die Flucht angetreten hatten, nachdem ein Hochgeschwindigkeitszug Wells passiert hatte. Jemand hatte das Problem als Kaskade bezeichnet, und so sah es zweifellos auch aus.
Flint schloss sich in seinem Büro ein, schaltete den Ton des Wandschirms aus, öffnete aber zugleich etliche Fenster für Nachrichtenübertragungen – alle mit einer Texteinblendung am unteren Rand. Dann aktivierte er die Schirme in seinem Schreibtisch und ließ sie sich auf zweien Dummy-Dateien abarbeiten, angefüllt mit Namen und Krisen, die längst der Vergangenheit angehörten. Den dritten konfigurierte er so, dass er nicht länger mit seinem internen Netzwerk verbunden war. Er musste sicherstellen, dass niemand lauschte, ehe er seinen nächsten Zug tat.
Die Arbeit kostete ihn fünf Minuten mehr, als er gehofft hatte. Er saß an seinem Schreibtisch, ein bisschen zerschlagen von all dem Kaffee und zitterig zugleich. Er war nicht sicher, ob das Zittern eine Folge des Kaffees war oder doch eher der Neuigkeiten, die er erhalten hatte: zuerst
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