Miles Flint 04 - Das Marsgrab
Nummer Sechsundfünfzig. »Das ist nicht erlaubt.«
»Ich fürchte, es ist sogar erforderlich«, bekräftigte Ogden. »Protokollcode 20.745.25 der Erdallianz zur Regulierung der Beziehungen zwischen Menschen und Disty konstatiert …«
»Nun gut.« Nummer Sechsundfünfzig faltete die Hände zusammen. Er hatte den Code bereits gekannt, dennoch hatte er sich zunächst verweigert.
Ogden fühlte Sodbrennen aufflackern. Noch eine Modifikation, auf die sie gern verzichtet hätte. Ihr griesgrämiger Magen reflektierte ihre Stimmung in jüngster Zeit allzu deutlich – und derzeit war sie in einer Stimmung mühsam beherrschter Angst. Sie kannte die Allianzprotokolle, aber nicht die Protokolle, die sich mit dem Umgang mit Disty in Spitzenpositionen befassten.
»Bitte«, sagte sie, »informieren Sie mich über die Krise!«
»Es ist keine Krise«, sagte Nummer Sechsundfünfzig in demselben herausfordernden Ton, den er schon früher benutzt hatte. »Es ist ein Betrug!«
Ammer sah noch ein bisschen alarmierter aus als zuvor. Die drei Menschen hinter ihr hielten die Köpfe gesenkt, vermutlich, damit Ogden nicht in ihren Gesichtern lesen konnte.
Wo zum Teufel ist Jefferson?, befragte sie ihren Assistenten über ihren Link.
Wir können ihn immer noch nicht finden, antwortete Sorenson.
Dann schicken Sie die zweite Garnitur her! Sofort!
»Ich fürchte, ich wurde aus tiefem Schlaf geweckt und nicht über die genauen Implikationen der betreffenden Angelegenheit informiert«, sagte sie. »Ich weiß, dass die Disty auf dem Mars in Aufruhr sind …«
»In Aufruhr?« Nummer Sechsundfünfzig sprach nun doch Englisch, eine Sprache, mit der die Disty weit besser zurechtkamen.
Sollte es noch viel schlimmer werden, dann würde er irgendwann zu seiner eigenen Sprache zurückkehren, und dann würde Ogden einen Übersetzer brauchen. Sie sprach dreißig verschiedene Sprachen, aber sie beherrschte die Nuancen nicht gut genug, um in all diesen Sprachen auch Verhandlungen zu führen. In Disty traute sie sich die Verhandlungsführung jedenfalls nicht zu.
»Ihre Leute haben unser Land kontaminiert!«, schnappte er. »Das geht schon seit Jahrzehnten so und hat in den letzten paar Tagen viele Disty das Leben gekostet. Menschen und Disty können nicht länger koexistieren. Nicht auf dem Mars. Vielleicht nirgendwo.«
Ogden fühlte, wie ihr der Atem stockte. Ammer senkte den Kopf, und Ogden kam sich vor, als hätte sie ihre letzte Stütze verloren.
»Kontaminiert?«, fragte Ogden.
»Ich kann Ihnen das nicht vollständig erklären«, sagte Nummer Sechsundfünfzig. »Vermutlich wissen Sie davon. Wir glauben, dass Ihre Spezies diesen Betrug geplant hat, seit unsere Wege sich gekreuzt haben, und dass der Plan nun endlich Früchte trägt. Wir brauchen jetzt ein sauberes Gebiet, in dem sich unsere kontaminierte Bevölkerung wieder ansiedeln kann, während wir versuchen herauszufinden, wie wir sie reinigen können. Danach müssen wir entscheiden, was mit den Kuppeln geschehen soll. Wir werden sie nicht den Menschen überlassen.«
Wie konnten die Beziehungen zwischen Menschen und Disty sich in der einen Stunde, die sie verschlafen hatte, so sehr verschlechtert haben? Was war ihr entgangen?
»Was beabsichtigen Sie mit den Kuppeln zu tun?«, fragte Ogden.
»Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Bedauerlicherweise müssen wir uns erst von Ihren politischen Führern sagen lassen, wo sich die Grabstätten befinden, ehe wir irgendetwas tun können, und wir müssen darauf vertrauen, dass Ihre Leute die Leichen fortbringen. Entweder das, oder wir werden die Kuppeln zerstören und uns jemanden anderen suchen, der das Land umgräbt und alles verbrennt, was er darin findet. Vielleicht werden wir imstande sein, die Kuppeln wiederaufzubauen. Vielleicht nicht. Der ökonomische Schaden wird ungeheuerlich sein. Der Verlust an Leben ist schon jetzt entsetzlich, und es wird schlimmer werden, wenn Sie nicht mit uns kooperieren.«
Schicken Sie jemanden her!, befahl sie ihrem Assistenten. Sofort!
Sie wartete nicht auf seine Antwort.
»Wir werden kooperieren«, sagte sie. »Ich fürchte nur, ich habe das Ausmaß der Katastrophe nicht ganz erfasst. Darf ich Sie bitten, mir fünf Minuten Zeit zu geben, damit ich mich über die Lage informieren und Rücksprache mit einigen menschlichen Politikern und Diplomaten in Führungspositionen halten kann, um zu sehen, was wir in dieser Situation tun können?«
Ammer hielt den Kopf noch immer gesenkt, und auch die anderen
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