Miles Flint 04 - Das Marsgrab
jeweiligen Schichten an – die Farbe variierte von einem hellen Orange über Rostrot bis hin zu einem Ton, der beinahe als Braun gelten konnte, durchzogen mit einem schwachen Hauch von Weiß. Das Weiß stammte, wie Scott-Olson wusste, von Chemikalien, die aus den Disty-Gebäuden sickerten. Dergleichen hatte sie schon früher gesehen.
Nur ein Satz Fußabdrücke kreuzte die Spur des Baggers. Batson achtete sorgfältig darauf, in diese Abdrücke zu treten. Offensichtlich waren es seine eigenen.
Am Rand eines tieferen Abschnitts der Grube blieb er stehen. Dann drehte er sich um, legte den Kopf in den Nacken und ging davon.
In all den Jahren, in denen sie mit ihm zusammengearbeitet hatte, hatte er so etwas nie getan. Er hatte sie nie ohne jede Erklärung stehen lassen, ohne seine Unterstützung.
Zitternd blickte sie in den tieferen Abschnitt der Grube hinunter.
Zuerst sah sie gar nichts. Nur eine unebene, höckrige Sandoberfläche, so wie sie die Baggerschaufel zurückgelassen hatte. Dann sprang Scott-Olson hinunter in die Grube und wäre beinahe gefallen.
Ihr Stiefel war gegen etwas Hartes geprallt, etwas wie einenFelsen. Aber hier gab es keine Felsen. Das war einer der Vorzüge des hiesigen Bodens, die Tatsache, dass man es hier stets nur mit Sand zu tun hatte, nicht mit massiven Gesteinsbrocken.
Scott-Olson zog den Kopf ein und konnte kaum atmen. Alles an dieser Situation hatte sich dazu verschworen, um sie nervös zu machen: Batsons seltsames Verhalten, die verlassen wirkenden Gebäude, der Druck, den der Jørgen-Fall so oder so auf sie ausübte.
Aber ihr Fuß war nicht gegen einen Stein gestoßen. Er war gegen einen Arm gestoßen. Der Arm lugte aus dem dunkelroten Sand hervor wie unter einer Decke. Sie folgte dem Arm, fand die Schulter und etwas weiter oben einen Teil eines Ohrs.
Eine Mumie. Das, zumindest, war normal. Und in Anbetracht der Tiefe, in der die Mumie entdeckt worden war, musste sie schon seit sehr langer Zeit hier liegen.
Scott-Olson legte ihre Handschuhe an. Das Material spannte sich automatisch um ihre Haut. Sie fegte ein wenig Sand zur Seite, ehe sie innehielt und sich die ganze Sandfläche am Fundort genauer ansah.
Augenblicklich stieg Galle in ihrer Kehle auf. Sie schluckte schwer, würgte den bitteren Geschmack hinunter. Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie an einem Tatort übergeben. Sie hatte nicht die Absicht, jetzt damit anzufangen.
Wollte sie sich aber an ihrer Berufsehre festhalten, so musste sie sich mit dem vor ihr liegenden Fund befassen, und sie war sich überhaupt nicht sicher, ob sie das wirklich tun wollte.
Denn dieser Ort stellte alles in den Schatten, was sie bisher zu sehen bekommen hatte. Was sie ursprünglich für eine unebene Sandfläche gehalten hatte, eine Landschaft aus kleinen Hügeln, die der Bagger geschaffen hatte, war ein See aus Körperteilen, die aus tieferen Schichten aufragten wie Leichen, die sich aus ihren Gräbern erhoben.
Arme, Beine, Hände, Köpfe. Alle mumifiziert, alle offenbar immer noch mit ihren Körpern verbunden, verteilten sich vor ihr wie Steine an einem Sandstrand. Die Körperteile breiteten sich bis zu den Rändern des Abschnitts aus, wo Scott-Olson vor der ersten Mumie hockte. Aber die Körperteile verschwanden auf eine Art im Sand, die der erfahrenen Leichenbeschauerin verriet, dass das Massengrab unter dem noch nicht ausgehobenen Sand weiterführte.
Scott-Olsons Mund stand offen, war so oder so schon trocken von der Luft und dem darin enthaltenen Staub.
Staub und was auch immer sonst noch, Partikel vielleicht, von den Unglückseligen, die sie umgaben.
Wieder stieg ihr die Galle in die Kehle, und dieses Mal bedeckte sie den Mund mit der handschuhbewehrten Hand. Sie kletterte aus dem Loch, blieb am Rand einfach liegen und schluckte krampfhaft gegen die Trockenheit in ihrer Kehle an.
Schlucken, schlucken, und keine Ahnung, was sie tun sollte.
Sie wollte hinüber zu Batson gehen, wollte ihn anweisen, die Arbeiter zurückzuholen, damit sie das Loch wieder auffüllten, damit sie alles zudeckten, wollte die Disty belügen und ihnen erzählen, alles wäre in bester Ordnung.
Aber sie würden es nicht glauben. Die Disty wussten es besser. Die meisten von ihnen machten sich nie die Mühe, Englisch zu lernen, aber ein paar Worte kannten sie doch, die sie wie ein Mantra aufzusagen pflegten.
Menschen lügen.
Ja, das taten sie. Es war angeboren, ein Überlebensmechanismus. Manchmal war es sogar die einzige Möglichkeit, die die
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