Miles Flint 04 - Das Marsgrab
Menschen hatten.
Scott-Olson wünschte, sie könnte nun lügen, könnte einfach vorgeben, das wäre nie passiert, vorgeben, sie hätte es nie gesehen.
Denn wenn die Disty in einem einzigen Skelett, das seit dreißig Jahren vergraben war, eine Großkontamination sahen, was würden sie dann davon halten? Hatten sie überhaupt einen Begriff dafür? Konnten sie auch nur das Entsetzen zum Ausdruck bringen, das sie, die zuständige Gerichtsmedizinerin, gerade empfand?
Denn wenn die Disty der Ansicht waren, sie, genau sie, die Gerichtsmedizinerin, wäre durch das Skelett kontaminiert, zu welchen Schlussfolgerungen kämen sie wohl jetzt?
11
I ch werde Ihnen nicht dabei helfen, zwei Menschen aufzuspüren, nur damit die Disty einen Vergeltungsmord an ihnen verüben können.« Flint war entsetzt, dass diese zarte Frau ihm so etwas hatte vorschlagen können. Noch vor wenigen Momenten war sie ihm so sanft erschienen; ihr Zorn war etwas gewesen, was er sogar als vage amüsant empfunden hatte, so als könnte dieser Zorn keine echten Auswirkungen auf die Leute um sie herum haben.
Aber nun stellte sich heraus, dass dieser Zorn gewaltige Auswirkungen hatte. Sie war bereit, zwei Leben zu opfern, um ihr eigenes zu retten.
Kein Wunder, dass die anderen Lokalisierer sie abgewiesen hatten.
»Nein«, widersprach sie vehement, die Hände erhoben, als wollte sie einen Hieb abwehren. »Es geht nicht ums Töten!«
»Worum geht es dann?«
»Um ein Disty-Ritual. Ich habe es nicht ganz verstanden, aber ich kann wiedergeben, wie es mir erklärt wurde.«
Sie trat einen Schritt näher an den Schreibtisch heran, so als wollte sie ihn ins Vertrauen ziehen. Sogar ihre Stimme klang etwas leiser.
»Würden die Disty tatsächlich jeden Ort meiden, an dem jemand zu Tode gekommen ist, dann gäbe es im ganzen Universum keinen Platz, an dem sie noch leben könnten.«
»Theoretisch, nehme ich an«, sagte er.
Sie musterte ihn finster, atmete aber dann einmal tief durch. »Ich werde Sie an meinem oberflächlichen Wissen über dieseSache teilhaben lassen. Bedauerlicherweise sind mir die Disty fremd. Wäre es nicht so, dann wäre ich gar nicht erst in diesen Schlamassel geraten. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist das, was ich von einem Beamten in der Saharakuppel erfahren habe, der erst mit den Disty und dann mit mir gesprochen hat. Ich selbst bin zurzeit in den Augen der Disty derartig kontaminiert, dass ich nicht direkt mit einem von ihnen reden darf.«
Flint runzelte die Stirn. Sie hatte schon vorher etwas über Kontamination gesagt, aber das war zu einem Zeitpunkt passiert, als er ihr nicht sonderlich aufmerksam zugehört hatte.
»Jedenfalls haben die Disty eine Methode, die Leichenfundorte wieder zu reinigen. Familienangehörige der Verstorbenen müssen irgendwas mit Feuer und sechzehn Tagen der Stille tun und irgendeine besondere Flüssigkeit an der Stelle verteilen. Dann darf einen Monat oder länger, je nachdem, wie viel Zeit die Leiche dort verbracht hat, niemand die Stelle aufsuchen. Am Ende wird dann ein anderes Disty hingeschickt, das sich vergewissert, dass die Dekontamination durchgeführt wurde. Wenn dieses Disty das Gebiet freigibt, ist es wieder sicher.«
»Und die Leute, die kontaminiert wurden?«, fragte Flint.
»Die müssen auch irgendein Ritual über sich ergehen lassen, und daran ist die Familie des Verstorbenen ebenfalls beteiligt, aber niemand wollte es mir genau erklären. Man hat mir nur gesagt, es sei harmlos.«
Flint hatte schon von seltsameren Ritualen gehört, weshalb er die Möglichkeil, dass ein solches Verfahren existierte, nicht bezweifelte. Aber er würde die Kontaminationsriten der Disty in Hinblick auf Todesfälle selbst recherchieren, wenn Costard fort wäre, ob er ihren Fall nun übernähme oder nicht. Wieder einmal die Neugier. Sie überrumpelte ihn doch immer wieder.
»Was passiert, wenn die Familienangehörigen nicht gefunden werden?«, fragte er.
Sie blinzelte hektisch, als würden sich ihre Augen mit Tränen füllen. Dann senkte sie den Kopf, wischte sich über ein Auge und atmete tief ein.
»Ms Costard?« Flint bediente sich eines schroffen Tons. Mitgefühl konnte er ihr in diesem Moment nicht bieten. Darauf, so sagte ihm sein Gefühl, würde sie nicht gut reagieren.
Ihre Augen waren gerötet, ebenso wie ihre Nasenspitze. Sie sah hilflos und verängstigt aus, und er hatte den Eindruck, nun endlich ihre wahre Persönlichkeit vor sich zu sehen. Sie war überfordert, war der Situation nicht
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