Miles Flint 05 - Paloma
allem darüber, weshalb Ihre Mutter vor Jahrzehnten ihren Namen geändert hat. Aber ich habe nichts gesehen, das sich auf Sie bezogen hätte.«
Letzteres war eine Lüge. Die neuesten Dateien stammten alle von Ignatius, doch Flint wusste bisher weder, was genau sie zu bedeuten hatten, noch, warum Ignatius sie seiner Mutter gegeben hatte.
»Verstehen Sie denn nicht?«, sagte Ignatius. »Meine Mutter ist tot.«
Flint nickte. »Sie wurde von bixinischen Attentätern ermordet. So viel ist mir bekannt.«
Van Alen maß ihn mit einem scharfen Blick.
»Jemand muss diese Leute angeheuert haben«, sagte Flint. »Und ich weiß auch, wer das war, obwohl das keine Rolle spielt. Das alles hat vor Jahrzehnten stattgefunden.«
»Aber sie haben sie nie gefunden. Sie wussten nicht, wie sie durch die juristischen Mauern brechen sollten, die sie aufgebaut hat. Die Attentäter verfolgen ihre Zielpersonen, sie beobachten ihre Wohnhäuser, die Schemata ihrer Lebensführung, aber sie sind keine Detektive. Sie wissen nicht, wie man in fremde Kulturen vorstoßen kann, wie man fremde Kulturen verstehen lernt, so wie Kopfgeldjäger und Lokalisierungsspezialisten es tun.«
Ignatius hörte sich regelrecht verzweifelt an. Er presste die Hände noch fester zusammen, als wären sie alles, was ihn noch zusammenhielt.
»Ich bin immer noch nicht sicher, worauf sie hinauswollen«, sagte Flint.
»Ach, um Gottes willen«, sagte Ignatius. »Jemand muss diesen Mistkerlen verraten haben, wo meine Mutter war.«
»Es dürfte ziemlich viele Leute geben, die das gewusst haben«, wandte Flint ein.
»Aber nur wenige wussten von den bixinischen Attentätern, von dem Fluch und dessen Bedeutung für Mutter«, gab Ignatius zurück. »Und nur einer hatte einen Grund, sie ihr auf den Hals zu hetzen.«
Van Alen runzelte die Stirn. »Ich kann Ihnen noch weniger folgen als Miles«, sagte sie. »Wer hatte einen Grund, Ihre Mutter umzubringen?«
Ignatius fuhr sich mit der Hand über den Mund. Er zitterte so sehr, er sah aus, als würde er jeden Moment in seine Einzelteile zerfallen.
»Justinian«, flüsterte er. »Justinian hat diesen Dreckskerlen erzählt, wo Mutter war. Und ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er auch hinter mir her sein wird.«
57
D as Haus, in dem Paloma gelebt hatte, sah vollkommen anders aus als an dem Tag ihrer Ermordung. Leute verteilten sich überall in der Lobby, schwatzten oder strebten auf einen der Fahrstühle oder den Ausgang zu. Der schwarze Boden und der spektakuläre Ausblick wirkten nicht so dominant, wenn das Gebäude voller Menschen war.
Nyquist ertappte sich dabei, dass er sich nach Leuten umsah, die Bots mit Einkaufstüten im Schlepptau hatten, so wie Paloma an dem Tag, an dem sie gestorben war. Hatte sie gewusst, dass die Dinger dazu benutzt werden konnten, ihre Mörder zu verstecken? War dieses Versteck – die Tüten – nur eine willkommene Gelegenheit für McKinnon gewesen, eine, die es ihm erspart hatte, ihre Wohnung nach einem passenden Behälter zu durchsuchen?
Nyquist würde auch diesen Punkt überprüfen müssen, aber nicht jetzt. Jetzt wollte er erst mit Claudius Wagner sprechen.
Den Fahrstuhl mochte Nyquist nicht benutzen. Zu sehr erinnerte er ihn noch immer an Palomas Ermordung. Stattdessen nahm er die Treppe bis hinauf in den neunten Stock. Er ersuchte darum, dass weder sein Erscheinen noch der Grund seines Erscheinens von den Gebäudesystemen angekündigt wurden, und er stellte dieses Ersuchen offiziell in seiner Eigenschaft als Polizist, sodass die Gebäudevorschriften in den Hintergrund treten mussten.
Als er das Treppenhaus verließ, stellte er verblüfft fest, wie sehr sich diese Etage von der unterschied, in der Paloma gelebt hatte. Der schwarze Marmor, der weiter unten allgegenwärtig erschienen war, war hier mondgefertigten Fliesen gewichen.
Die Fliesen waren in einem Muster angeordnet, wie er es schon einmal in den Lehmziegelgebäuden im Tychotrichter gesehen hatte, wie er es jedoch in Armstrong nie zu sehen erwartet hätte.
Vielleicht war Paloma nicht diejenige gewesen, die WSX im alten City Center untergebracht hatte. Vielleicht war Claudius dafür verantwortlich.
Die einzige andere Tür neben den Fahrstuhltüren und der Tür zum Treppenhaus besaß auf der braunen Oberfläche einen Dekor in Form eines geschnitzten Mondes. Nyquist hob die Hand, um anzuklopfen, und die Tür klopfte an seiner Stelle – der kleine Mond hob sich und erzeugte ein klapperndes Geräusch, das
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