Miles Flint 05 - Paloma
Ich habe Ihnen einen Gefallen getan und sie hergebracht, aber das war’s. Das ist alles, was ich für Sie tun kann.«
»Sie wollten sehen, wie ich reagiere«, sagte Flint.
»Das auch«, räumte Nyquist ein.
»Verdächtigen Sie mich?«
»Wir haben bisher nicht genügend Informationen, um irgendjemanden zu verdächtigen.«
Flint ließ ein kaltes Lächeln aufblitzen. »Sie meinen, Sie verdächtigen derzeit alles und jeden.«
Nyquist nickte. »So kann man es auch ausdrücken«, sagte er.
4
B eim Verlassen der Wohnung ließ Flint sich Zeit. Er studierte das zunehmend komplexere Muster der Blutspritzer, das dichter wurde, je weiter er den Korridor hinunterging, und die Pfütze in der Nähe der Fahrstuhltür.
Nyquist wollte ihm nicht gestatten, in die Kabine selbst hineinzuschauen, aber Flint wandte so viele Tricks wie möglich an, um mit seinen internen Kameras Großaufnahmen der einzelnen Spuren zu machen. Viel würde dabei nicht herauskommen, ein bisschen aber schon.
Vielleicht würde es reichen.
Die Techniker arbeiteten um ihn herum. Die Frau musterte ihn finster. Gelegentlich sah sie Nyquist an, als könnte sie nicht fassen, was er tat.
Nyquist behielt Flint ebenfalls im Auge, gab sich aber weniger interessiert, als er war. Das mochte ein Bullentrick sein; Flint selbst hatte ihn gelegentlich benutzt.
Den echten Beweisen konnte Flint nicht mehr näher kommen. Schließlich beschloss er, die Tatortspezialisten ihre Arbeit zu Ende bringen zu lassen, und ging die Treppe hinab.
Seinen Anzug hatte er nicht abgelegt. Er würde ihn behalten, genau wie er es Nyquist gesagt hatte. Und vielleicht hatte er Spuren von außen aufgesammelt, etwas, das Flint untersuchen konnte.
Und er hatte noch mehr. Neben den Videoaufnahmen, die er soeben gemacht hatte, hatte er auch noch eine recht gute Spur. Nyquist hatte ihm erzählt, das Gebäude verfüge über ein internes Sicherheitssystem – eines, das gut genug funktionierte, die Polizei zu alarmieren, wenn es ein Problem gab.
Dort konnte sich Flint einhacken. Er würde vorsichtig sein müssen, um sicherzustellen, dass er keine Spuren hinterließ oder irgendeinen Alarm auslöste, den die Polizeitechniker vorbereitet hatten.
Nach allem, was er wusste, war es durchaus möglich, dass Nyquist ihm nur von dem System erzählt hatte, um ihn in Versuchung zu führen, Zugriff darauf zu nehmen. Vielleicht würde Nyquist darin ein Zeichen seiner Schuld sehen.
Flint wusste es nicht. Wenngleich er die Vorgehensweise des Mannes verstehen konnte, kannte er Nyquist doch überhaupt nicht. Er schien ein guter Detective zu sein, ein guter Mensch, aber Flints Eindruck basierte lediglich auf wenigen Begegnungen und ein paar Gefälligkeiten.
Begegnungen und Gefälligkeiten reichten für eine oberflächliche Bekanntschaft, doch sie reichten nicht, um zu wissen, wie der Mann seine Ermittlungen durchzuführen pflegte.
Flint stieß die Tür zur Lobby auf und betrat sie. Ein paar Streifenpolizisten huschten dort noch herum, doch er konnte keine Hausangestellten sehen. Dieses Gebäude warb mit seinen menschlichen Bediensteten – keine Bots, keine außerirdischen Arbeiter (zumindest nicht in öffentlichen Bereichen; was die nichtöffentlichen betraf, so gab es Antidiskriminierungsgesetze) –, und es konnte nicht ohne irgendeine Form von Wartung betrieben werden.
Vielleicht gab es ein automatisches Backup-System.
Vielleicht waren sämtliche Bewohner evakuiert worden.
Wenn das der Fall war, warum? Warum hätte man die Leute aus ihren Wohnungen werfen sollen?
Das ganze Gebäude war ein Tatort. Der einzige Bereich, den Nyquist nicht geschützt hatte, war das Treppenhaus. Er hatte Flint vorsichtig hereingeführt, hatte vermutlich einen Weg beschritten, den er schon zuvor gegangen war.
Einer der Streifenpolizisten starrte ihn an, als fragte er sich, wer er war. Streifenpolizisten kannten nicht alle Angehörigen ihrer Departments, ganz zu schweigen von den übrigen Polizisten der Stadt.
Flint musste vorsichtig sein – er wollte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenken, weder von Nyquist noch von den anderen Ermittlern –, aber er war bereit, ein Risiko einzugehen. Er sah nicht einmal mehr aus wie er selbst. Dank des Anzugs lagen seine blonden Locken eng am Kopf, und der Schnitt seiner Kleidung – gewiss nichts, das ein Angehöriger des Departments sich hätte leisten können – war nicht so offenkundig wie sonst.
»Wann wurde das Gebäude evakuiert?«, fragte er, als er sich der
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