Miles Flint 06 - Kallisto
allein.«
Sie konnte es nicht ausstehen, dass Haus sich selbst als Person betrachtete. Haus war keine Person. Einige Systeme wussten das. Haus nicht, vermutlich weil dieses System für Leute mit mittleren Einkommen entwickelt worden war, nicht für diejenigen, die wirklich reich waren. Und ein Haufen Zeug für Leute mit mittleren Einkommen unterstellte seinen Nutzern offenbar einen gewissen Grad der Stupidität.
»Bist du sicher, dass du die Programmierung nicht außer Kraft setzen kannst?«, fragte Talia. »Wie wäre es, wenn ich dir den Mastercode nenne?«
»Sie können es gern versuchen, Talia«, sagte Haus. »Aber er hat gründlich gearbeitet.«
»Nicht gründlich genug, um sein Bild oder seine Stimme zu löschen«, entgegnete Talia, ehe sie den Code rezitierte, den sie eigentlich gar nicht kennen sollte – nur Mom sollte ihn kennen, und nur Mom sollte ihn benutzen können, aber Talia hatte durch ihn schon häufig ein paar zusätzliche Freiheiten ergattert, und Mom hatte es nie herausgefunden.
Als Talia den Code aufsagte, schwieg Haus so lange, dass sie schon fürchtete, sie hätte etwas fälsch gemacht.
Dann meldete sich Haus doch wieder: »Ich bedauere, Talia, der Code funktioniert nicht.«
»Schon gut«, sagte sie, obwohl es keineswegs gut war. Sie würde gewaltsam ausbrechen müssen. Aber die Türen im Haus waren verstärkt. Sie waren so stark, dass niemand sie ohne Spezialwerkzeug aufbrechen konnte.
Sie war allerdings nicht sicher, ob das auch für Schranktüren galt.
»Weißt du«, versuchte sie es mit einem letzten Schachzug, »ich werde sterben, wenn ich zu lange hier drin bleibe.«
»Sie werden nicht sterben, Talia«, sagte Haus mit seiner Schwesternstimme. Die Stimme schaltete sich automatisch ein, um dem Zuhörer zu vermitteln, dass Haus die Vitalfunktionen überprüft hatte.
»Nicht jetzt«, entgegnete Talia. »Aber ich werde sterben, wenn ich zu lange hier drin bleibe. Nur zu, prüf’ deine Daten. Sieh nach, wie lange ein Mensch ohne Essen und Wasser überleben kann.«
»Ich weiß, wie lang, und Sie sind erst seit fünf-komma-zwei-fünf Erdenstunden in dem Schrank. Ihnen wird nichts geschehen.«
»Nicht zwangsläufig, Haus. Wenn niemand kommt, wenn niemand herein kann und niemand weiß, wo ich bin, dann bleibe ich womöglich tagelang hier drin. Ich kann keinen Kontakt zu irgend jemandem aufnehmen, weil diese Leute deine Systeme blockiert haben, und du kannst aus dem gleichen Grund keinen Kontakt zu irgend jemandem herstellen – außer in einem Notfall. Dann kannst du alles Mögliche hinausbrüllen und die Nachbarschaft alarmieren.«
»Dies ist kein Notfall«, sagte Haus.
»Natürlich ist es einer«, blaffte Talia. »Ich bin in diesem blöden Schrank gefangen.«
»Sie werden herauskommen.«
»Meine Mutter wurde entführt.«
»Das wissen Sie nicht mit Sicherheit«, gab Haus zurück, nun wieder mit dieser entsetzlich besänftigenden Stimme.
»Doch, das weiß ich, und du wüsstest es auch, wenn du fähig wärest zu spekulieren.« Talia lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust, kratzte sich die Haut mit dem Absatz des Schuhs.
»Ich kann nicht spekulieren«, bekundete Haus traurig. »Ich bin nicht auf derartige Aufgaben ausgelegt. Auch gestattet mir meine Programmierung nicht, mich entsprechend zu modifizieren. Wünschen Sie ein spekulationsfähiges System, sollten Sie ein Upgrade des Haussystems in Betracht ziehen …«
»Bei allen Felsbrocken im Universum«, fluchte Talia, als Haus sich erneut in einer Werbebotschaft für ein Upgrade erging. Seit Jahren wollte sie schon die Programmierung ändern, um diesen Kram abzuschalten, aber hätte sie das getan, dann hätte ihre Mutter erfahren, dass sie imstande war, die Anlage zu manipulieren.
Haus schloss die Werbemitteilung ab und sagte: »Ich kann die Botschaft wiederholen, wenn Sie es wünschen. Ich glaube, Sie haben mir nicht aufmerksam zugehört.«
»Ich kenne diesen blöden Kram auswendig«, sagte Talia.
Dann legte sie die Stirn in Falten. »Wie viele deiner Programme haben sie abgeschaltet?«
»Eine Menge«, antwortete Haus. »Etliche Unterprogramme mussten deaktiviert werden, um mich daran zu hindern, ständig im Sicherheitsnetz von Valhalla Meldung zu machen.«
»Wird dein Schweigen irgend jemanden herlocken?«
»Nein«, sagte Haus. »Die Programme sind zwar darauf ausgelegt, aber die Statistik zeigt auf, dass die Polizei des Valhalla Basins auf Anforderungen aufgrund ausbleibender Meldungen nicht
Weitere Kostenlose Bücher