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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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mochten dieses Produkt natürlich auch. Gekocht oder gebraten, die Köpfe oder den Stiel; sie hatten ihren eigenen Vorrat, unternahmen aber jede Nacht Ausfälle und überfielen die Plantagen. Es kam immer wieder zu regelrechten Schlachten zwischen den einheimischen Bauern und den wildfremden Drogenfreaks. So mancher Bauer verbrachte die Nacht auf dem Dach seines Hauses mit einem Gewehr in der Hand, um Plantagendiebe abzuknallen. Einige Leute meinten daher, die lettischen Bauern würden den Mohn nicht für ihre Lebensmittel, sondern bloß der Jagd wegen anbauen.
    Im dritten Zeltdorf, dem größten von allen, wohnten die so genannten Indis – Indianer. Mit einem Wort: alle, die keine Drogenfreaks oder Sektenanhänger waren. Manche nutzten die Zeit, um sich für eine Aufnahmeprüfung an der Uni vorzubereiten, andere spielten Gitarre oder versuchten, jemanden zu verführen. Eine Säuferbrigade, das »Trinkkommando« genannt, verscheuchte die Touristen, die es sich an den Wochenenden am See gemütlich machen wollten. Anschließend sammelten sie die leeren Flaschen und alles andere Brauchbare, das die Touristen zurückgelassen hatten, und tauschten die Sachen in den Dörfern gegen den dort selbst gebrannten Mohnschnaps.
    Trotz der scheinbaren Interessensgegensätze, gab es in dem großen Lager so gut wie keine Auseinandersetzungen, alle vertrugen sich irgendwie. Die Anarchie hatte eine Alltagsordnung, an die sich alle hielten. So durften zum Beispiel die Drogenfreaks nur die Bauernhöfe überfallen, die weiter als zehn Kilometer vom Lager entfernt waren, um die allgemeine Sicherheit nicht zu gefährden. Es gab eine gemeinsame Küche, einen Keller für Lebensmittelvorräte, der durch den ständigen Zufluss neuer Leute nie leer wurde. Jeden Tag meldete sich ein Freiwilliger zum Holzhacken. Am Feuer kochte in einer riesigen Wanne rund um die Uhr eine so genannte »Waldsuppe«, die aus den kulinarischen Eroberungen des Tages bestand: eine Wundersuppe, die jeden Tag anders schmeckte. Auch die Frage, wie man es hinkriegt, dass sich jeden Tag jemand freiwillig zum Kochen oder Holzfällen meldete, obwohl eigentlich jeder den ganzen Tag am See verbringen wollte, beantwortete sich schnell. Nach ein paar Tagen verspürte auch ich große Lust, Holz zu hacken und ein bisschen was zu kochen. Die Arbeit im Wald schmeckte genau so gut wie die Suppe. Nachts saßen Dutzende Menschen am Lagerfeuer. Jemand spielte Musik, die Narks schweiften mit ihren Sonnenbrillen in der Umgebung herum, die Sektenanhänger trieben unauffällig ihre religiöse Propaganda weiter, und die Indianer schauten schweigend in die Flammen.
    Auf der anderen Seite des Flusses war eine Armee-Einheit stationiert, eine Panzerdivision. Ein Schuss aus der Panzerkanone, der immer pünktlich um neun Uhr früh erfolgte, diente als Wecker für diejenigen, die früh aufstehen mussten. Die Soldaten kamen oft mit einem kleinen Boot zu uns herüber. Sie brachten kistenweise Fleischkonserven und Brot mit, saßen am Feuer und warteten auf das Ende ihrer Dienstzeit. Die Indos, alle überzeugte Pazifisten, griffen die Soldaten ständig mit aggressiven Sprüchen an:
    »Wir sind für den Frieden, wir sind gegen den Krieg.«
    »Wir doch auch«, verteidigten sich die Soldaten müde.
    »Dann vergrab doch dein Maschinengewehr.« Die Indianer ließen nicht locker.
    »So was haben wir doch gar nicht, nur Panzerkanonen«, lachten die Soldaten.
    Einmal kam es jedoch zur einer echten Auseinandersetzung, als das Heiligtum der Krischnaiten, das große Mahabharata-Buch, zerstört wurde. Sie erklärten daraufhin den Indos den Krieg, obwohl die Vernichtung der Reliquie gar nicht böse gemeint war. Der Regen war schuld. Es war nämlich so: In der Nähe des Lagerfeuerplatzes standen zwei große einsame Bäume. An einen Baum wurden von den Neuankömmlingen immer die Zigarettenschachteln zur allgemeinen Verwendung aufgehängt, am anderen Baum hingen Brötchen. Dementsprechend hießen die Bäume auch der Zigarettenbaum und der Brotbaum. Mitte August kam plötzlich ein Gewitter auf, drei Tage und drei Nächte regnete es. Alle verkrochen sich in den Zelten. Es wurde nicht mehr gekocht und niemand saß mehr am Feuer. Als die Sonne wieder schien, waren beide Bäume leer: Die Zigaretten wie auch die Brötchen hatten sich in der Nässe vollständig aufgelöst. Wegen der Brötchen machte sich niemand Sorgen, doch ohne Zigaretten war schon nach wenigen Stunden die Hölle los. Besonders unter den Indos gab es viele

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