Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
Vom Netzwerk:
leidenschaftliche Raucher. Und die Lagerkasse war wieder einmal gerade leer. So machten sich etliche auf die Suche nach rauchbarem Zeug. Mit Erfolg: Nachdem sie den Lebensmittelkeller auf den Kopf gestellt hatten, fanden sie dort eine Plastiktüte voll mit litauischem Machorka, der dort seit mehreren Wochen in einer Ecke lag. Nun brauchte man Papier. Doch ein Stück Papier im Lager zu finden war noch komplizierter, als den Tabak aufzutreiben. Die paar nassen Hefte und Zeitungen, die herumlagen, waren schnell weggeraucht. Auf der Suche nach einer Lösung versuchten manche sogar, ihre Zigaretten mit Baumrinde zu drehen; es ging aber nicht gut.
    Dann entdeckte man plötzlich das große Mahabharata-Buch: ein 1000 Seiten dicker Foliant in einem kugelsicheren Einband, der auf dem Küchentisch lag und durch den Regen nicht gelitten zu haben schien. Die Idos benutzten ihn, um die Indos von der Richtigkeit ihres Glaubens zu überzeugen. Das Buch enthielt viele eindrucksvolle Bilder, die zeigten, was einem alles passieren kann, wenn man nicht rechtzeitig die Wahrheit entdeckt. Mit zahlreichen Skizzen wurde in dem Buch geschildert, wie ein Mensch sich in einen Baum und dann sogar noch weiter in ein Schwein verwandeln konnte. Die Indos dachten, wenn man ein paar Phasen dieser Verwandlung aus dem Buch herausriss, würde es nicht groß auffallen. Schnell hatten sie zwanzig Seiten weggeraucht. Am ersten Tag merkten die Idos noch nichts. Doch am nächsten und übernächsten Tag wurde das Buch immer dünner. In drei Tagen hatten die Indos das komplette Mahabharata-Buch aufgeraucht, nur der schwarze Umschlag mit den goldenen Buchstaben lag noch auf dem Küchentisch.
    Der Zorn der Idos kannte keine Grenzen. Sie verzichteten auf das gemeinsame Essen und erklärten den Indos den Kalten Krieg mit einer abschließenden Eskalation: Sie versuchten sogar, die Soldaten aus der Panzerdivision auf ihre Seite zu ziehen, damit sie ein paar Schüsse auf den Zeltplatz der Indianer abfeuerten. Erst nach zwei Wochen und dank der abenteuerlichen Beschaffung eines neuen Mahabharata-Buches aus Riga war die Sache wieder aus der Welt.
    Eines Tages traf ich am Feuer die Eltern, deren Tochter abgehauen war. Sie hatten sie zwar auch in diesem Lager nicht gefunden, aber in der Hoffnung, dass sie vielleicht noch hier aufkreuzen würde, hatten sie beschlossen noch zu bleiben. Sie fanden Unterkunft bei einem Mann aus Charkow, den alle Biber nannten. Er lebte allein in einem großen Armeezelt für acht Personen. Keiner wollte zu ihm ziehen, weil Biber ein Besessener war, ein Anhänger des Voodookultes und Besitzer von drei menschlichen Schädeln. In seiner Heimatstadt Charkow wurde er als einziger Voodoopriester in der ganzen Gegend von seinen Mitbürgern nicht als religiöse Minderheit anerkannt und bekam regelmäßig Prügel. Bei den Idos wurde er natürlich sofort aufgenommen. Doch wegen seiner eindeutig übertriebenen Spiritualität wollte niemand lange etwas mit ihm zu tun haben. Die Eltern der verschollenen Tochter kamen jedoch ganz gut mit dem Mann zurecht und halfen ihm sogar bei seinen spirituellen Experimenten. Der Biber seinerseits versuchte mit seinen Voodoo-Fähigkeiten, ihre Tochter wiederzufinden.
    Katzman und ich verbrachten drei Monate in dem Lager. Oft gingen wir zusammen mit den Mädchen, die wir am ersten Tag kennen gelernt hatten, und ihren beiden Hunden, Yoko und Janis, drei Kilometer durch den Wald ans Baltische Meer. Ich hatte Angeln gebastelt und fing sogar ab und zu Fische damit. Gauja wirkte auf uns wie ein Paradies, wie Kommunismus ohne Phrasen. Unterdes ging der August zu Ende. Die Fanatiker unter den Idos und die widerstandsfähigsten Indos bereiteten sich auf einen Winter im Wald vor. Sie träumten von Zelten mit Fellboden und Thermoschlafsäcken, die es bei uns jedoch nicht gab. Kazman und ich fuhren per Anhalter nach Moskau zurück. Auf dem Riskij-Bahnhof angekommen stellten wir fest, dass wir in den ganzen drei Monaten keine einzige Kopeke ausgegeben hatten: Mit zwei Groschen waren wir fortgefahren, mit denselben zwei Groschen kamen wir wieder nach Moskau zurück. Schnell kauften wir uns davon zwei Fahrkarten und tauchten in den unterirdischen Röhren der Moskauer Metro unter.

Der Fahneneid
    »Jungs! Die Zeit ist gekommen, eurer ehrenvollen Pflicht zur Verteidigung der Heimat nachzukommen«, sagte der Bezirkskommissar auf dem Wehrdienst-Erfassungsamt.
    »Ich werde den Fahneneid niemals ablegen«, sagte mein Freund Katzman.
    »Die

Weitere Kostenlose Bücher