Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
Vom Netzwerk:
brauchten dringend ein Bier.
    Nach vier Stunden Sitzen auf dem Sklavenmarkt lockerte sich die Atmosphäre langsam auf. Die meisten Käufer hatten ihren Blutdurst gestillt und waren gegangen. Wir Übriggebliebenen durften nun einen Imbiss im zweiten Stock zu uns nehmen. Auf der Treppe traf ich meinen Vater. Er war sturzbetrunken und hatte seine Aktentasche nicht mehr bei sich, war aber immer noch auf der Suche nach dem richtigen Ansprechpartner.
    »Alles wird uns gelingen«, versicherte mir mein Vater und trampelte die Treppen weiter runter.
    Ich kaufte mir zwei Buletten und eine Flasche Mineralwasser. Am Abend, als ich mir schon im großen Saal einen Platz zum Schlafen suchen wollte, wurde ich plötzlich zusammen mit fünf anderen von einem Major aufgerufen.
    »Ihr kommt jetzt mit«, sagte er zu uns und lächelte milde.
    Er roch nach dem Spiritus meines Vaters.
    »Das ist ein gutes Zeichen«, machte ich mir Mut.
    Wir verließen das Haus und gingen unserem ungewissen Schicksal entgegen – zu einer Straßenbahnhaltestelle.
    »Ihr habt ein Riesenglück, Jungs«, sagte der Major zu uns, »wir fahren nun zur Armee. Wisst ihr, wie man zur Armee fährt?«
    »Jawohl, Genosse Major«, meldete sich sofort eine junge Stimme.
    »Oh, ein Klugscheißer«, wunderte sich der Major. »Woher willst du wissen, Soldat, wie man zur Armee fährt, wenn du dort noch nie warst?«
    »Na ja«, antwortete der Junge, »ich dachte wir fahren mit der Bahn oder mit dem Flugzeug...«
    »Tatsächlich, ein Klugscheißer«, wiederholte der Major, als ob er es kaum fassen könnte. »Zur Armee fährt man in einer Reihe, während der Fahrt bleibt man still und guckt gerade auf den Hinterkopf des vor einem stehenden Soldaten. Über Flugzeuge unterhalten wir uns später. Wenn einer Fragen hat, darf er mich ansprechen, und sagen: ‘Genosse Major, darf ich eine Frage stellen?’ Alles klar?«
    »Genosse Major, darf ich eine Frage stellen?« Es war wieder der Junge, der alles wusste.
    »Wie ist dein Name, Soldat?«, schrie der Major auf.
    »Andrej.«
    »Ich erteile dir Sprechverbot bis zum Ende deiner Dienstzeit, Soldat Andrej. Und jetzt in einer Reihe aufstellen, in die Straßenbahn, marsch!«
    Der Major setzte sich nach vorne, auf dem Schoß hatte er einen Karton, in dem unsere Papiere lagen. Wir verteilten uns gleichmäßig im Waggon. Die Straßenbahn war an diesem späten Abend leer, außer uns fuhr niemand mit. Wir warfen verzweifelte Blicke durch die zugefrorenen Fenster. Mir kam alles irreal vor: die mit Schnee bedeckte Stadt, der lustige Glatzkopf des Majors, der uns ständig anlächelte und mit den Augen zwinkerte, die ganze Rekrutenbande mit ihren schlaffen Rucksäcken.
    »Wladimir, du stehst am Anfang deines größten Abenteuers«, sagte ich leise zu mir selbst. An der Endstation wartete ein Militärfahrzeug auf uns, ein riesiger LKW. Die beiden Fahrer, altgediente Soldaten, guckten uns neugierig an und lächelten freundlich. Der Major musste pinkeln. Er rief mich aus der Reihe und reichte mir den Karton. »Halt mal, Soldat«, sagte er und verschwand hinter dem Busch. Ich war stolz, dass er gerade mich ausgewählt hatte. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass das Halten dieses Kartons meine erste und letzte verantwortungsvolle Aufgabe in der Armee sein sollte. Ich wurde als Einziger nie befördert.
    Wir erklommen die Ladefläche und setzten uns. Der LKW fuhr mehrere Stunden durch den Wald. Uns fror der Hintern ab. In der Nacht erreichten wir ein Militärgelände, das mitten im Wald stand und aus wenigen Häusern bestand. Der Major führte uns in eine von drei Baracken, wo wir schlafen sollten. Trotz Hunger und Kälte waren wir von unserem Abenteuer immer noch begeistert.
    »Dreißig Sekunden zum Ausziehen und keinen Ton mehr«, brüllte der Major.
    Eine Minute später ging das Licht aus. Mein Bett stand neben dem von Andrej. Wir lagen in der Mitte eines riesigen Saales, dessen Ausmaße wir nicht einmal richtig sehen konnten. Die Armeedecken waren schwer, stachelig und die Kopfkissen mit stinkendem Stroh gefüllt.
    »Cool«, flüsterte Andrej mir zu.
    Ja«, bestätigte ich.
    »Wann, denkst du, kriegen wir Gewehre?«, fragte er leise.
    »Morgen, wahrscheinlich.«
    »Schnauze!«, rief der Major aus der Dunkelheit.
    Trotz der Müdigkeit konnten wir in dieser Nacht vor Aufregung kaum einschlafen. Um sechs ging das Licht an. »Aufgestanden!«, rief der uns schon bekannte Major. Er war frisch rasiert und sah erholt aus. Wir schauten uns um. Unsere

Weitere Kostenlose Bücher