Milliardengrab (German Edition)
geschehen war. Er nahm Julia wortlos in
den Arm und versuchte sie zu trösten.
Nach
einer Weile, Julia lag noch immer in den Armen von Hans, schluchzte sie: »Bitte
ruf doch endlich an! Ich will hier weg, bitte!«
Hans
schwieg einen Augenblick. Er dachte verzweifelt nach, suchte einen Ausweg. Er
konnte es nicht ertragen, sein Kleinod im Gefängnis zu wissen. Blitzschnell
schmiedete er einen Plan … und führte ihn auch aus.
Erst
einmal brachte er Julia in ein anderes Zimmer. Anschließend packte er Noras
Leiche in eine Baufolie. Keine Flüssigkeit konnte austreten. Den Leichnam trug
er in den Keller. Bis zum Morgengrauen war er damit beschäftigt, sämtliche
Spuren im Schlafzimmer zu vernichten. Jedes Wäschestück, an dem Blut klebte,
brachte er auf den Friedhof und verbrannte es mit anderen Abfällen. Julia
starrte regungslos aus dem Fenster. Es regnete. Sie sah ihr Gesicht, das sich
im Glas spiegelte. Es war das Gesicht von Nora, über das die Tropfen wie Tränen
rannen. Ihre Nora, die sie trotz allem mehr als alles andere auf dieser Welt
geliebt hatte. Und nun war sie nicht mehr, war ihrem Jähzorn zum Opfer
gefallen. Julia wünschte, auch tot zu sein. Doch da war auch noch Hans, er
hatte sein ganzes Leben Nora und ihr gewidmet.
Den
ganzen nächsten Tag verbrachte er damit, auf Julia einzureden, an Noras statt
nach Nizza zu fliegen. Letztlich flehte er sie an. Doch Julia hatte mit ihrem
Leben abgeschlossen. Sie wollte nicht.
Bis
er schließlich sagte: »Wenn du ins Gefängnis gehst, dann gehe ich auf den
Friedhof. Aber ich kehre nicht zurück.«
Julia
schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Sie kannte Hans gut genug, um zu
wissen, das war keine leere Drohung. Er würde sich umbringen. Hans war am Ende
seiner Kraft. Er litt unter dem Tod von Nora ebenso schwer. Obwohl es nichts
geändert hätte, er fühlte sich trotzdem am Tod von ihr mitschuldig. Alles war
Julia egal, nur Hans in den Selbstmord zu treiben, das war ihr unmöglich.
Schließlich willigte sie ein. Julia begriff nun, was sie angerichtet hatte und
wurde von schweren Schuldgefühlen ergriffen - auch Hans gegenüber, der völlig
schuldlos zum Mittäter geworden war. Der Flug wurde umgebucht und die Vertuschung
vom Tod der roten Nora nahm ihren Lauf.
»Ich
habe Nora in meiner Wut getötet. Von all diesen Dingen, wie diese
Treuhandschaft, den Konten und diesen Firmen überall auf der Welt, ich schwöre
es, ich hatte und habe keine Ahnung. Nie haben wir ein Wort über diese Dinge
verloren. Nora hat immer nur gesagt: «‚Mach dir keine Sorgen - für dich und
natürlich auch Hans ist gesorgt. Was immer auch geschehen wird.«
Es
waren keine Tränen des Selbstmitleids, es waren Tränen der Trauer um ihre
Liebe, die Julia über das Gesicht liefen. »Ich habe sie geliebt und liebe sie
noch. Immer werde ich meine Schwester lieben wie sonst nichts auf dieser Welt!«
Die Untersuchungsrichterin war perplex.
»Sie
haben Ihre Schwester im Zorn erschlagen wegen eines Streites über die SED?«
»Nein.«
Julia legte ihr Gesicht in die Hände, schluchzte und sagte:
»Ich
konnte mich nicht beherrschen, weil sie mich verlassen wollte. Aber ich wollte
sie doch nicht töten! Ich wollte sie doch nur nicht verlieren! Nora und Hans,
sie waren alles, mein ganzer Lebensinhalt, alles, was ich hatte! Ich wollte sie
nicht töten, wirklich nicht!«
Ein
schwerer Weinkrampf schüttelte sie, wie so oft seit jenem tragischen Tag, wenn
sie nachts wach gelegen hatte.
Landesgericht für Strafsachen in Wien, Sommer 1994
Der
Prozess gegen Julia und Hans fand im großen Schwurgerichtssaal des Grauen
Hauses in Wien, wo das Landesgericht für Strafsachen seinen Sitz hat, statt.
Die Umgebung des Gerichtes war großräumig abgesperrt.
Dutzende
von TV-Anstalten hatten ihre Übertragungswagen aufgebaut.
Eisenstein,
herausgeputzt wie selten zuvor, saß mit seinem Augenstern im Café Landtmann und
ließ sich von Thomas auf dem Laufenden halten. Ihm war der Platz auf der
Pressebank des Gerichtsaales zu hart. Abgesehen vom Umstand, dass dort weder
Speis noch Trank kredenzt wurden.
Die
junge Redakteurin der Tagespresse saß neben Thomas auf der für Journalisten
reservierten Bank im Gerichtssaal. Sie duzten sich mittlerweile und waren
befreundet. Ihr Bauch war gerundet, in zwei Monaten würde sie ihr Baby
bekommen. Ferry, der werdende Vater, hatte den Prozess für die KPÖ in erster
Instanz gewonnen. Es war keine Frage, dieser Akt würde beim Bundesgerichtshof
landen. Etwa zehn
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