Milliardengrab (German Edition)
Ähnliches. Alles, was die Boulevardpresse ohnehin bereits bis zum
Abwinken ausgeschlachtet hatte. Der Verteidiger erwähnte nur, dass all diese so
nebenbei eingeworfenen Dinge keinesfalls verfahrensrelevant waren, sondern nur
den Zweck verfolgten, Julia in ein schiefes Licht zu rücken.
»Mögen
die Geschworenen darüber urteilen, was es für eine Frau bedeutet, ihr Leben
ohne Beine zu bewältigen. Diese Tragödie am Bahndamm hat das Dasein dieser
Menschen nachhaltig beherrscht und die Angeklagte in ihrer Verzweiflung zu
dieser furchtbaren Tat getrieben. Sie stand letztlich vor der Tatsache, den einzigen
Menschen den sie liebte, durch ihre eigene Hand verloren zu haben. Es steht
außer Frage, weder fünf Minuten vorher noch nachher wäre die Tat geschehen. Es
ist nicht schwer, sich in dieser Situation in die Lage der Angeklagten zu
versetzen. Und wenn Sie dies tun, meine Damen und Herrn Geschworenen, dann werden
sie mit Sicherheit zu einem gerechten Urteil kommen.«
Die
Geschworenen mussten drei Hauptfragen beantworten: Mord, Totschlag oder schwere
Körperverletzung mit tödlichem Ausgang. Sie berieten drei Stunden, dann
verkündete der Gerichtspräsident das Urteil im Namen der Republik. Julia wurde
des Totschlages für schuldig befunden und zu dreieinhalb Jahren Freiheitsentzug
verurteilt. Hans bekam ein Jahr mit Bewährung.
Es
war kaum jemand im Gerichtssaal anwesend, der nicht Mitgefühl mit der
Angeklagten hatte - andererseits hatte sie einen Menschen getötet; so
betrachtet war das Urteil über sie wahrscheinlich gerecht. Phillip Stankowski
war über Noras Ende zutiefst erschüttert, er sagte eine Tournee ab und zog sich
eine Weile zurück.
Eisenstein
behauptete im Landtmann steif und fest, dass der Gerichtshof, explizit nur um
ihn zu ärgern, das Urteil genau eine Stunde nach Redaktionsschluss verlas. Er
murrte deswegen lautstark und erklärte dem staunenden Publikum im Caféhaus:
»Ich
habe das natürlich geahnt und entsprechend disponiert. Der Andruck wurde verschoben.
Der Wochenspiegel ist wie immer auf dem neuesten Stand und erscheint morgen mit
dem Urteil des Schwurgerichtsprozesses. Da muss der Kadi sich etwas Besseres
einfallen lassen, wenn er den Eisenstein ärgern will. Mein Gott, es ist ja
schon zehn vorbei. Herr Franz, bitte!«
Der
Ober Franz wieselte geschwind herbei. Er hatte einen Narren an Eisenstein
gefressen.
»Herr
Franz, bitte, besorgen Sie ein Taxi. Der soll gschwind in die Dorotheergasse
zum Hawelka rüberfahren, ich habe dort Buchteln für mich und meine liebe
Begleiterin bestellt. Die soll er bringen.«
Eisenstein
verzehrte die berühmten Hawelka Buchteln, und weil er ein guter Mensch war, aß
er auch gleich die zweite Portion, weil seine Freundin die Aufnahme der
Kalorienbombe verweigerte.
Man
kannte Eisenstein im Landtmann ein halbes Leben lang und lächelte nachsichtig.
Wenig später betraten Thomas und Ferry Lugner mit seiner angehenden Gattin das
Lokal. Eisenstein sprang förmlich von seinem Stuhl hoch und verkündete
lautstark: »Herr Doktor, welche Freude, dass ich Sie sehe, zu oft habe ich an
Sie gedacht!«
Thomas
und Ferry brachen in Gelächter aus. Die werdende Mutter blickte fragend auf die
Beiden. Sie kannte eben die Legende Eisenstein nur vom Hörensagen. Unbestätigten
Meldungen zu Folge soll an jenem Abend Eisenstein unaufgefordert die Rechnung
im Landtmann bezahlt haben. Dokumentarisch festgehalten ist jedoch, dass er
sich eine etwas höhere Rechnung ausstellen ließ.
Bevor
das Landtmann an diesem Tag schloss, suchten Eisenstein und Thomas noch die
Toilette auf. Im Pissoir stehend meinte Eisenstein gemütlich: »Thomas, du hast
die Geschichte recht anständig hingekriegt - allerdings ein kleiner Fehler ist
dir doch unterlaufen.«
»So,
und darf man fragen welcher?«
»Natürlich,
ich bin doch dein väterlicher Freund. Also, wie heute im Gericht dieser Hans Gruber
ausgesagt hat, wo sich die Leiche der Kaindel befindet, da hättest du mich
sofort verständigen müssen. Ich hätte gleich jemand nach Wolfsthal beordert und
sie ausbuddeln lassen. Was denkst du. Eine kleine Privatexhumierung unter
Leitung des Wochenspiegels!«
Eisenstein
lachte von ganzem Herzen, während er unter Ächzen und allen vorstellbaren Verrenkungen
sein Organ in der Hose zu verpacken versuchte.
»So
eine Scheiße!«, entfuhr es Thomas.
»Was
ist denn jetzt wieder?«
»Ach
was, ich hab mich ange …. nass gemacht, und das alles wegen diesem Blödsinn!«
Nun
lachte die Blunzn erst
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