Milliardengrab (German Edition)
Jutesäcken
eingepacktes Bündel, das sich manchmal zur Seite neigte.
Mit
einem Schlag begann es heftig zu regnen. Die fetten Tropfen zerplatzten auf der
Windschutzscheibe. Der Mond war verschwunden, es war stockdunkel. Auf dem
Gesicht von Hans war Anspannung zu sehen. Das Gewitter wertete er als ein
Zeichen von oben, dass man dort sein Vorhaben billigte und sogar unterstützte.
Nach etwa zehn Minuten war er an der Rückseite der kleinen Totenkammer
angekommen. Der Friedhof war seit annähernd fünfzig Jahren sein Reich. Er
kannte hier jeden Winkel und jeden Weg. Trotz der Dunkelheit benötigte er kein
Licht. Er fand sein Werkzeug auch so. Nicht nur in seinem Leben herrschte bis
zu diesem Tag Ordnung, auch in seiner Totenkammer. Den zunehmenden Regen nahm
er nicht zur Kenntnis. Behäbig schritt er, das Werkzeug bei sich tragend, quer
über den Gottesacker. Sein Ziel war ein Grab, das er am Nachmittag ausgehoben
hatte. Die Grube war etwas tiefer als üblich. Einem unbedarften Menschen fiel
das nicht auf. Er, als Mann vom Fach, hätte das erkannt. Mit einem Satz sprang
er in das etwa zwei Meter tiefe Loch. Trotz seines Alters konnte er es
körperlich mit so manchem Dreißigjährigen aufnehmen. Zügig begann er, die Grube
noch zu vertiefen. Der Regen machte die Erde pappig und schwer. Schweiß, Tränen
und Regenwasser rannen ihm über Schädel und Oberkörper. Hans kümmerte sich
nicht darum, gleichmäßig schaufelte er das schwere Erdreich aus dem Loch. Nach
einer halben Stunde ging er zum Passat, öffnete die Heckklappe und warf sich
das Jutebündel über die Schulter. Wie eine Maschine bewegte er sich mit dem
Leichnam von Nora. Mit zügigen Schritten ging er durch die Totenkammer denselben
Weg zurück, den er gekommen war. Am Grab angekommen, warf er seine Last mit
einem Schwung in die Grube. Ohne darauf zu achten, wo er zu stehen kam, sprang
er hinterher.
Am
Boden des offenen Grabes hatte sich Regenwasser gesammelt. Hans zog das Bündel
gerade und stieg ein paar Mal mit seinen Gummistiefeln darauf herum, das fiel
ihm nicht leicht, doch es gab keine andere Möglichkeit.
Sein
Kopf war jetzt bei Julia, die es zu schützen galt. Sie hatte ihn vor zwei
Stunden aus Nizza angerufen. Sie war nervös und erschöpft, aber gesund. Ganz
egal wie schwer sie sich versündigt haben mochte. Hans hätte es nicht verwunden,
wenn man seine liebste Julia, sie war für ihn noch immer die kleine Julia, in
den Kerker geworfen hätte. Nora war tot - ihr konnte er nicht mehr helfen.
Es
kostete ihn seine letzten Kraftreserven wieder aus dem Loch zu klettern, weil
er keinen Halt auf dem glitschigen Holzrahmen fand, der dafür Sorge trug, dass
die ausgehobene Erde nicht zurück ins Loch fiel. Letztlich schaffte er es und
stand keuchend am Rand des offenen Grabes. Einige Minuten verschnaufte er, dann
begann er das Bündel am Boden des Grabes, mit der schweren Erde abzudecken.
Regenwasser rann in Strömen über sein Gesicht.
Bevor
er nochmals in die Grube sprang, holte er sich seine kleine Leiter aus der
Totenkammer. Auf dem Boden des Grabes verteilte er die Erde und trat sie fest.
Dann stieg er aus dem Grab, nahm Leiter und Werkzeug an sich und ging zurück
zum Wagen. Auf der Heimfahrt wurde der Regen, der zwischenzeitlich aufgehört
hatte, wieder heftiger. Besorgt wandte er seine Augen himmelwärts. Nora ruhte
nun im Grab des Kommerzialrates, dessen Sarg sich morgen auf ihren Leichnam
senken würde. Niemand suchte eine Leiche auf einem Friedhof, und wenn dort eine
gefunden wurde, so war es nichts Abnormes.
Jetzt
herrschte absolute Stille im großen Schwurgerichtssaal. Man hätte wirklich die
sprichwörtliche Nadel, die zu Boden fiel, hören können. Der Erste, der seine
Sprache wieder fand, war der Staatsanwalt. Ganz leise sprach er auf Hans ein.
»Angeklagter,
habe ich Sie richtig verstanden? Die Leiche von Nora Kaindel ist unter dem Sarg
des Kommerzialrates begraben?«
Hans
nickte fast unmerklich und wandte sich ab.
Sachverständige
und Ermittler traten auf und erklärten bis ins kleinste Detail, was ohnehin
bekannt war. Die Kardinalfrage war, ob Julia wegen Totschlages oder wegen Mordes
verurteilt werden würde. Die Stimmung bei den Zuhörern im Saal war geteilt. Es
waren dreihundert Menschen gekommen und kein Stuhl war mehr frei. Die Plädoyers
waren relativ kurz. Erst blieb der Ankläger ganz sachlich, dann konnte er es
aber doch nicht lassen zu erwähnen, dass Nora für die Kommunisten gearbeitet
hatte und
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