Millionär
Lichtschalter und öffne die Tür.
»Hallo Schatz!«, rufe ich in einem Anfall von Masochismus und trete ein. Ich knipse die flackernden Energiesparleuchten an, stelle die Chips in meine beige Billigküche und rümpfe die Nase. Irgendwie riecht es nach Müll. Nach kurzer Nachforschung weiß ich: Es ist der Müll. Läuft haushaltstechnisch halt nicht mehr alles sooo rund, seit meine kroatische Putzfrau Lala nur noch vierteljährlich für eine Stunde kommt. Ich sprühe ein wenig Geruchsvertilger auf meinen Mülleimer und lasse mich auf den einzigen Küchenstuhl fallen.
Feierabend!
Und jetzt?
Mein Blick schweift nach draußen. Der Baum vor meinem Fenster trägt nur noch ein paar armselige gelbe Blätter, die im Wind zittern. Vielleicht haben sie ja auch Angst vor dem ganzen Scheiß, der bald mal wieder ansteht: Den nebligen Nieselnovember kriegt man vielleicht noch rum, aber die Vorweihnachtszeit, die ist der pure Horror für einen selbstständigen Single. Wenn sich all die geleckten Designerpärchen wieder gegenseitig die Geschäfte leer kaufen, um dann vor den entsetzten Augen eines hilflosen Christkindes mit ihrer finanziellen Potenz zu prahlen:
Ein Haus in Südfrankreich und ein Mini-Cooper mit iPod-Adapter! Ach Schatz - wir haben doch gesagt, keine Geschenke. Wie stehe ich denn jetzt da mit meinem verlängerten GolfWochenende in Südafrika?
Weihnachten. Mal ehrlich: Wer würde das familiäre Verspeisen der Weihnachtsgans nicht eintauschen wollen gegen ein stinknormales Kreuzverhör auf Guantanamo? Schon mal deswegen, weil es auf Kuba garantiert keine Tchibo-Adventsdeko gibt. Für die meisten meiner Bekannten geht's nach der Gans und dem Silvester-Raclette in ein tolles neues Jahr voller Gehaltserhöhungen, exotischer Urlaube und aufregendem Sex. Dann schreiben alle »Jogging« oder »Personal Training« in die erste Januarwoche ihres Deutsche-Bank-Kalenders oder »Eurasische Tapas mit Markus und Joachim«. Ich hab schon ewig keinen Kalender mehr gekriegt von der Deutschen Bank, nicht mal einen Kugelschreiber. Egal, was sollte ich mit meinen monatlichen 345 Euro Arbeitslosengeld II schon für große Pläne reinschreiben?
2. Januar Essen mit Freunden im »Le Moissonier« wegen Grippe absagen
6. Januar Evtl. Sugababes-Konzert in Düsseldorf (wenn Phil an Freikarten rankommt)
11. Januar Ausrede für Snowboarden in St. Anton?!
Ich merke, dass mein rechtes Auge wieder zu zucken beginnt, was laut Paula ein eindeutiges Zeichen dafür ist, dass ich mich zu sehr aufrege. Noch schlimmer sind eigentlich nur die Ohrgeräusche, die sich so anhören als würde Wasser in einen Heizkörper fließen. Mit mir als Heizkörper. Ich bin bei Shahin natürlich sofort zum netdoktor.de gegangen und da stand dann, dass das »nur« Tinnitus sei, man sich entspannen solle und die Geräusche einfach ignorieren. Ohhh!, hab ich mir gedacht, einfach ignorieren, die Geräusche. Dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin! Diesen Online-Quacksalbern sollte man im Minutentakt Chinaböller vor ihre Billo-Tastaturen werfen und zeitgleich auf sie einschreien: »Ignorieren, die Geräusche, einfach ignorieren!« Egal, ich hab genau deswegen bald einen Termin bei einem richtigen Doktor. Ist ein Tipp von meiner Freundin Paula, alle würden da hingehen, hat sie gesagt, der wäre ein bisschen schräg, aber sonst echt gut.
Mit Bier und Pringles setze ich mich hinter den Tresen meines selbstgezimmerten Wohnzimmer-Pubs. Über dem Tresen hängt ein beiges Emaille-Schild mit dem Aufdruck: Gefördert von der Bundesagentur für Arbeit. Das stimmt tatsächlich, weil ich mir die irische Ecke von exakt dem Geld habe bauen lassen, was mir die BA nehmen wollte, weil ich für ALG II noch zuviel Vermögen hatte. Laut § 8.3. des SGB II ist meine irische Ecke nämlich kein Pub, sondern »angemessener Hausrat«, soll heißen: darf nicht zum Vermögen hinzugerechnet werden. Und wenn ich schon nicht mehr in den Pub komme, dann muss der Pub halt zu mir! Ich schalte den Fernseher ein und schaue Die Simpsons an, wie fast jeden Abend. Dann geht's meistens rüber zum Perfekten Dinner oder ich bleib bei Galileo, aber nur wenn sie gute Themen haben.
Als meine Pringles leer sind, wähle ich die auf der Verpackung aufgedruckte Servicenummer. Nur für den Fall, dass sich schon mal jemand gefragt hat, wer solche Nummern eigentlich anruft: ich! Die Chips sind von Procter & Gamble, einem riesigen Konzern, der einfach alles herstellt: Pampers (Windeln), Duracell (Batterien),
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