Millionär
Call-Center säße, dann würde ich mich doch freuen, wenn jemand aus der Heimat anruft. Hab sie ja schließlich nicht gefragt, ob sie ihr Schamhaar in Muffin-Form rasiert hat. Es ist halt immer das Gleiche: Wer in unserer globalisierten Welt ein bisschen Wärme sucht, der sollte besser die Heizung aufdrehen. Mit meiner kleinen Pringles-Dose ziele ich auf den Mülleimer, verfehle ihn lediglich um zwei Meter und wechsle vom kleinsten Pub der Welt in meine pinke Couch, die mir meine Ex-Chefin, die Eule, zum 31-ten geschenkt hat. Zum 32-ten bekam ich Gott sei Dank nur noch eine Karte aus Berlin. Ist ja jetzt 'ne ganz große Nummer in der Zentrale geworden. Dank der großartigen Kulturleistung des deutschen Privatfernsehens mutiere ich binnen Minuten von einem selbstbestimmten Menschen zum kritiklos grinsenden Schwamm, der jedes noch so dämliche Entertainment-Tröpfchen dankbar in sich hineinsaugt. Irgendwann ruft mein Freund Flik an, ich hab aber keine Lust ranzugehen, weil ich ja morgen beim Steak-Essen ohnehin erfahren werde, was Schniff und Schnuff in den letzten Tagen so alles Tolles unternommen haben. Daniela und er nennen sich echt so. Das weiß ich, weil Flik sich einmal versimst hat und die grandiose SMS »Bin schon auf dem weg mein schniff. Kuss vom schnuff« an Simon gesendet hat statt an Schniff.
Wer seine Kosenamen geheim halten will, der sollte besser aufpassen beim Simsen.
Auch mein heutiger Fernsehabend besteht fast ausschließlich aus Dokus. Ich liebe Dokus und ich schaue sie alle, wobei es mir im Grunde genommen scheißegal ist, über was berichtet wird. Endlich kann man am Leben teilhaben ohne mitzumachen! Egal ob ein Bäcker von Duisburg nach Andalusien auswandert oder das 23-qm-Studio einer Studentin vom Duo für vier Wände in ein Designobjekt verwandelt wird - ich schau's mir an. Heute zum Beispiel gibt's ein Spiegel TV Spezial über den Penny-Markt auf St. Pauli. Spannende Sache eigentlich. Doch auch Fremdleben kann anstrengend sein. Gegen Mitternacht schlafe ich bei der stern-tv-Reportage Abgehängt - Leben in der Unterschicht ein.
Gott sei Dank.
ST. BIMBAM
In den endlosen Tagen des Dachausbaus gab es natürlich auch Tage, an denen Flex und Steinschneider nicht zum Einsatz kamen. In solchen Momenten war und ist auf die benachbarte St. Bimbam Kirche Verlass, die pünktlich um 7 Uhr 57 mit hektischem Geläut rechtschaffene Atheisten aus ihren Albträumen gongt. Nein, es ist kein schönes Läuten und es hat auch nichts von »ländlichem Flair«, wie Pfarrer Jörg Westhoff mir in unzähligen Gesprächen weismachen wollte. Tatsache ist: Diese Kirchenglocken können gar nichts! Sie läuten nicht nur drei Minuten zu früh, was mich alleine schon wahnsinnig macht, sondern auch noch völlig asynchron. Nur Meister des positiven Denkens würden dieser epileptischen Klangentladung etwas Schönes abgewinnen können. Das Schlimmste aber ist: Immer wenn man denkt, dass dies der letzte Glockenschlag gewesen sein muss, kommt doch noch ein Gong um die Ecke. Irgendwer muss da mal ausgetüftelt haben, wie man seine Mitmenschen am effektivsten auf die Palme bringt. Und so vergehen jeden Morgen fast fünf Minuten, bis das sinnlose Getöse endgültig verstummt. Dieser Turm und sein elektronischer Glöckner leiden unter dem Tourette-Syndrom, da bin ich mir ganz sicher. Sie haben die Kontrolle verloren und bräuchten dringend Hilfe, Liebe, Zuwendung, irgendwas! Nein, ich kann nicht weghören, weil das Klangmonster knappe zwanzig Meter neben meinem Wohnzimmer steht. Ja, ich mache was dagegen. Jeden Morgen und heute auch! Noch im Halbschlaf taste ich nach meinem Telefon und wähle die 256719. Es tutet nur dreimal.
»Westhoff?«
»Ihre Glocken nerven!«
»Herr Peters. Ich werde die Glocken auch dann nicht abschalten, wenn Sie noch ein Jahr lang anrufen.«
»Ich hab schon Tinnitus deswegen! Und Augenzucken! Sie machen sich strafbar! Das ist Körperverletzung!«
»Einen schönen Tag noch, Herr Peters. Möge der liebe Gott .«
»Jaja ...«
Grummelnd schäle ich mich aus meinem Bett, stelle mich unter die Dusche und genieße den Duft meines Kindershampoos. So lecker riecht das nach Himbeere, dass ich manchmal am Abend nur deswegen nochmal dusche. Sicher ein fieser Trick der Industrie, damit die Kleinen sich überhaupt mal den Kindergarten-Asbest aus den Haaren spülen. Ich esse zwei Weizentoasties mit Butter und Himbeermarmelade. Dazu gibt es wie immer zwei Tassen Senseo aus einem einzigen Pad. Da schmeckt die
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