Millionenkochen: Ein Mira-Valensky-Krimi
mir schwer, sie anzulügen. Ich will ihr nicht noch mehr wehtun – kann man ihr noch mehr wehtun? Trotzdem funktioniert mein Hirn. Offenbar schrieb Susanne Kraus tatsächlich an einem neuen Kochbuch.
„Ich könnte einfach nachsehen“, schlage ich vor. „Natürlich wenn Sie dabei sind.“
Frau Kraus schüttelt den Kopf.
„Anna schafft es noch nicht, in ihr Zimmer zu gehen“, erklärt die Schwester.
„Gehen Sie mit meiner Schwester“, sagt Frau Kraus, „ich sehe ein, dass Sie die Unterlagen brauchen. Das Leben geht weiter, nicht wahr?“ Es hört sich nicht so an, als ob sie daran glauben würde. „Aber die Polizei … hat schon eine Menge mitgenommen. Auch den Computer.“
Daran hätte ich denken sollen. „Wenn ich hier nichts finde, muss sich der Verlag an die Polizei wenden“, sage ich, meiner Rolle getreu. „Einfacher wäre es natürlich, wenn die Unterlagen da wären.“
Die Schwester nickt und winkt mich eine steile Holztreppe nach oben. Die Mutter bleibt unten und sieht uns nach.
„Vor zwei Jahren ist ihr der Mann gestorben, und jetzt das“, erklärt die Schwester, während sie eine der vier weißen Türen öffnet. „Das ist ihr Arbeitszimmer gewesen. So ein nettes Mädchen. Und so fleißig.“
„Ja“, bestätige ich. Ein großer Mahagoni-Schreibtisch, vielleicht hat sie das Arbeitszimmer von ihrem Vater übernommen. Ein weinrot gepolsterter Lederfauteuil, viele dunkle Bücherregale. „Was war ihr Vater eigentlich von Beruf?“, frage ich.
„Nephrologe. Nierenfacharzt. Eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Und sehr belesen. Die Unterlagen müssen irgendwo im Schreibtisch sein. Sie hat von allem immer Kopien gemacht, da war sie sehr vorsichtig, das weiß ich.“
Ich öffne die erste Lade und es kommt mir wie ein Einbruch vor. In der Lade sind eine Menge persönlicher Dinge, die die Spurensicherung wohl durchgesehen, aber nicht mitgenommen hat. Ein Kamm, der aussieht wie aus Perlmutt. Ein seltsamer kleiner Plüschaffe. Zwei Feuerzeuge, billig, eines orange, eines schwarz. In Fernsehkrimis finden die Ermittler Zündholzschachteln mit einer verdächtigen Aufschrift. Die beiden Feuerzeuge haben keine Aufschrift, und Zündhölzer sehe ich keine. Kugelschreiber mit Werbeaufdruck gibt es, aber da sieht nichts bemerkenswert aus. Eine angebrauchte Packung Taschentücher. Sie ist es, die mich besonders rührt. Ich sollte von hier verschwinden. So wichtig kann keine Reportage sein. In der nächsten Schublade ein Wirrwarr an Kabeln, ich kenne das, über die Jahre sammeln sich Telefon- und Computerkabel an, man wirft sie nicht weg, auch wenn man sie nie wieder brauchen wird können. Ein kleines Diktiergerät. Ich nehme es in die Hand, sehe die Schwester an, sie nickt bloß. Ich schalte es ein. Es ist leer.
In der dritten Schublade dann viel Papier, geordnet in Klarsichthüllen. Rezepte. Ihre Rezepte für MillionenKochen oder Rezepte für ein Kochbuch? Ich nehme sie heraus, blättere sie durch. Schwer zu sagen. Im zweiten Bündel noch mehr Rezepte. Die letzten Seiten sind nicht auf neutralem Papier gedruckt. Sie haben einen Briefkopf: „Romantikhotel Margarita – Gourmet & Wellness“. Ich versuche so ruhig wie möglich zu wirken.
„Das ist es“, sage ich. „Zumindest ein Teil davon. – Darf ich das mitnehmen?“
Die Schwester nickt. „Ich weiß aber nicht, ob es Eigentum des Verlages oder … Teil der Verlassenschaft ist. Man sollte eine Kopie machen.“
„Ich schicke Ihnen eine. Und ich bestätige Ihnen schriftlich, dass ich die Blätter mitgenommen habe.“
„Warum hat Ihnen Susanne die Unterlagen eigentlich nicht per E-Mail geschickt? Sie hat doch alles herumgemailt?“, fragt die Schwester plötzlich.
Liegt Misstrauen in ihrer Stimme? Ich weiß es nicht.
„Sie war wahrscheinlich noch nicht ganz fertig“, erwidere ich so unbefangen wie möglich. „Aber alles, was da ist, hilft uns weiter.“ Ich weiß nicht, ob ich mich trauen soll, auch die übrigen zwei Laden durchzusehen. Andererseits: Wenn mein Abgang wie eine Flucht wirkt, ist das verdächtig. Ich öffne die nächste Lade. Sie ist leer.
„Den Inhalt dieser beiden Laden hat die Spurensicherung mitgenommen“, sagt die Schwester. „Es ist … so ein unfassbares Unglück.“
„Ja. – Was war drinnen?“
„Ihre Unterlagen zu MillionenKochen. Ich weiß nicht, aber sie scheint sich nicht nur auf die Fragen gründlich vorbereitet zu haben, sie scheint auch eine Menge im Zusammenhang mit den Sendungen notiert zu haben. Ich
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