Milner Donna
endet«, lacht Cathy. Und von Mollys Glucksen unterstützt, pflanzt sich das Gelächter um den Tisch herum fort.
Molly sitzt zwischen ihrem Vater und Boyer auf einem zurechtgezauberten Hochstühlchen mit einem dicken Wörterbuch unter dem Kissen.
Sobald Carl das Buch erspäht, warnt er Gavin: »Mannomann, pass bloß auf! Boyer kann, wenn’s um Wörter geht, einen ganz schönen Ehrgeiz entwickeln.«
Über das Tischgespräch hinweg höre ich das Summen des Sauerstoffbehälters im Wintergarten. Auch wenn meine Mutter schläft, füllt ihre Präsenz den Raum. Und meine Brüder tun alles, um ihre Bitte zu erfüllen.
Als wäre überhaupt keine Zeit vergangen, ziehen Morgan und Carl ihren älteren Bruder wegen des automatisierten Stalls und der Leute auf, die jetzt mit dem Betrieb der Farm betraut sind. »Passivmelken nach Gutsherrenart«, frotzelt Morgan.
»Automatisierter Fischfang wäre auch nicht übel«, blafft Carl.
Obwohl das gutmütige Sticheln während des Essens hin und her geht, ist klar, wie froh Morgan und Carl sind, dass die Farm noch in Betrieb ist, wenn auch in kleinerem Maßstab.
Dass sie Gavin akzeptiert haben, wird mir bewusst, als sie anfangen, ihn wegen seines Berufs zu necken.
»Muss ja ganz angenehm sein, so in der Welt herumzufliegen. Schwerer Job, was?« Carl grinst, als Ruth ihm eine weitere Portion Hühnchen reicht.
»Tja, aber irgendjemand muss ihn eben machen.« Gavin nimmt ihre Hänseleien so unbekümmert an, wie sie ausgeteilt werden.
»Muss auch ganz hübsch bezahlt sein, wenn du schon ein eigenes Flugzeug hast«, schiebt Morgan nach.
»Na ja, die Cessna, mit der ich jetzt geflogen bin, gehört mir nur zu einem Zehntel«, kontert Gavin, »deshalb dürfen wir sie nur ein paar Mal pro Monat benutzen.«
Plötzlich hebt Molly den Kopf und studiert Boyers Profil. Ich halte den Atem an, als sie ihre pummeligen Finger seinem Gesicht entgegenstreckt. »Ist das Wehweh?«, fragt sie und streicht, als Boyer sich bis auf Augenhöhe zu Molly beugt, über die gefleckte Haut auf der linken Seite seines Gesichts.
»Was das?«, fragt sie stirnrunzelnd.
»Das ist eine Narbe«, erklärt Boyer. »Vor langer Zeit hat jemand nicht mit dem Feuer aufgepasst, und da habe ich mir die Haut verbrannt.«
»Oh!« Molly denkt einen Augenblick nach und fragt dann: »Tut’s weh?«
»Jetzt nicht.«
»Gut.« Molly lächelt zufrieden und wendet ihr Augenmerk der Schale mit Eiscreme zu, die Ruth vor sie hingestellt hat.
»He, und wo bleibt meine?«, fragt Morgan, und wieder füllen Carl und Morgan die Pause mit ihrem Geblödel auf.
Allmählich packt mich die Ungeduld, denn ich wünsche mir sehnlichst, dass Vern kommt und hier dazugehört. Wenn er heute Abend abfährt, könnte er noch vor morgen Nachmittag hier sein. Gavin und seine Familie wollen um zwei Uhr abfliegen. Sie werden mit Stanley vor ein Uhr zum Flugplatz aufbrechen müssen. Ich hoffe, dass Vern rechtzeitig eintrifft, damit er sie noch sieht.
Boyer geht in die Küche und kommt mit der Kaffeekanne zurück. Während er unsere Becher füllt, fragt er: »Wie lange kannst du bleiben?«
Ich bin mir nicht sicher, wen er gefragt hat, aber ich antworte ohne Zögern: »So lange, wie sie mich braucht.«
Auf der anderen Seite des Tisches nicken meine Brüder und Ruth.
»Gut«, sagt Boyer.
56
J EMAND SPIELT K LAVIER. Die vertraute Melodie dringt durch die Gitter im Flur herauf und schleicht sich in mein Zimmer. Ich liege im Dunkeln und frage mich, ob ich noch träume. Obwohl es meine zweite Nacht hier ist, dauert es ein paar Sekunden, bis mir wieder einfällt, dass ich tatsächlich in dem breiten Bett meines Kinderzimmers liege. Ich sehe auf den Wecker auf dem Nachttisch: Viertel vor fünf.
In der ersten Nacht, die Mom zu Hause verbrachte, habe ich wenig geschlafen. Das machte mir nichts aus. Seit ihrer Rückkehr auf die Farm ist sie immer tiefer in das Reich zwischen Leben und Tod gesunken. Weil ich in ihrer Nähe sein wollte, bin ich erst hinaufgegangen, als ich meinen Stuhl Ruth überlassen musste. Und selbst letzte Nacht, als Vern schon hier war, habe ich mich ungern schlafen gelegt.
So viel ist in den letzten zweiundsiebzig Stunden geschehen. Es wird lange dauern, das alles zu ordnen.
Obwohl es den Anschein hat, als würde Gavin alles mit Ruhe und Gelassenheit aufnehmen, bin ich mir sicher, dass es auch ihn überwältigt. Boyer hat ihn über seine Großmutter väterlicherseits informiert, die noch lebt. »Da werden wir wohl mal nach Montana
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