Mimikry
Papier genommen und ihren Arm gehoben, in seine Richtung hin, als verscheuche sie Fliegen. Er hatte es vielleicht noch gesehen, bevor er die Tür zuschlug. Bei der Henkel hatte diese Geste flüssiger ausgesehen, selbstverständlicher, als sie den Reporter im Präsidium in seine Schranken verwiesen hatte, doch bei der sah alles selbstverständlich aus.
Sie legte den Kopf zurück, fing immer wieder an zu dösen, sah irgendwohin, ohne etwas zu denken. Bei der Arbeit passierte ihr das dauernd. Damals, als sie anfing, hatte sie es toll gefunden, beim Fernsehen zu sein. War es auch nicht direkt das Fernsehen, so doch eine Firma, die vom Fernsehen lebte, das war etwas Besonderes, nicht so ein alltäglicher Kram. Es waren auch keine alltäglichen Leute, und sie würde inmitten dieser Leute sein, dann war es aber doch wieder so geworden, wie es immer war. Um sie herum floß ein lebhafter Strom. Biggi versuchte mitzuschwimmen, doch sie kam nicht an Land.
Gleich am Anfang hatten die anderen ihr diesen Namen gegeben, Biggi, Biggi-Mäuschen, mach das mal. Birgit war kein so schlechter Name, die anderen hatten ihn verhunzt. In der Schule war das auch so gewesen, Biggi, Biggilein. Oder Trampel, im Sportunterricht, Trampel und Depp. Manchmal vergaß sie die Schule, manchmal fiel sie ihr plötzlich wieder ein, das war mit vielen Dingen so, man vergaß etwas, das kam aber zurück. Eine Zeitlang war es gut gegangen, sie hatte sich die Stärkste in der Klasse ausgesucht und war bei ihr gewesen. Nur Kleinigkeiten, sie hatte der anderen die Schultasche getragen, wenn die ihr Rad schob, und ihr das Pausenbrot geschenkt. Ihren Namen wußte Biggi längst nicht mehr, sie hatte sie gar nicht gemocht, nur Kaugummis spendiert, Bravohefte geschenkt, das alles, zugesehen, was sie machte, um ihrem Leben auf die Schliche zu kommen. Eine Weile hatte man sie in Ruhe gelassen, kein Gekicher mehr und alles, aber die andere war dann mit Jungs herumgezogen und allen möglichen Leuten, sie hatte Biggi vergessen und alles war immer weitergegangen.
Die Uhr auf der Kommode tickte, irgendwann achtete man gar nicht mehr darauf. Drüben war jetzt das Bett gemacht. Die Henkel hatte keinen Nachttisch, nur ein Tablett auf dem Boden, Kleinkram darauf. Überhaupt hatte sie nur wenige Möbel, ausgesuchte Stücke wahrscheinlich, viel Platz. Über dem Bett hing ein Puppe, ein Clown. Als Biggi auf der Straße eine Bewegung wahrnahm, machte sie noch einen Schritt zur Seite, weil sie nicht wußte, wie undurchdringlich die Gardinen waren. Unten stand der Mann aus dem Hotel.
Einen Moment lang sah sie ihn ganz deutlich, sein halblanges, zurückgekämmtes Haar, seine Jeans und das weiße T-Shirt unter der braunen Lederjacke – keine besondere Kleidung, das nicht. Als er den Kopf drehte, konnte sie seine Augen sehen, verträumte Augen wie bei einem Kind. Er trug eine Großpackung Kuchen, sie sah das gelbe Papier der Bäckerei. Als er geklingelt hatte, ging er drei Schritte zurück und legte den Kopf in den Nacken, dann rannte er los und drückte die Tür so heftig auf, als hätte er Angst gehabt, die Henkel ließe ihn nicht hinein.
Die Küche sah man nicht. Man konnte nirgendwo hingehen, um die Küche zu sehen. Eine halbe Ewigkeit schienen sie da ihren blöden Kuchen zu essen, ehe der Mann ins Schlafzimmer kam.
Er zog eine Leiter hinter sich her und machte sich an einer Wandlampe zu schaffen. Breitbeinig stand er da und zog Drähte aus der Wand, hatte muskulöse Arme. Als die Henkel hinzukam, drehte er den Kopf, und sie stellte sich auf die unterste Stufe der Leiter, um ihm etwas zwischen die Lippen zu schieben, vielleicht ein Plätzchen oder Schrauben, die er brauchte. Sie trug ein enges Oberteil und Jeans. Es war ein friedliches Bild, wie sie sich dann gegen die Fensterbank lehnte und er seine Arbeit immer wieder unterbrach, um ihr etwas zu erzählen. Anscheinend erklärte er, was er da machte, denn er gestikulierte mit dem Schraubenzieher, deutete auf ein Loch in der Wand, als hätten sich Geister darin verschanzt, die er zu bändigen verstand. Irgendwann stellte sie sich wieder auf die unterste Stufe der Leiter und umfaßte seine Beine, strich mit beiden Händen darüber. Er ließ sich nicht stören, schraubte weiter. Sie machte zwischen seinen Beinen halt, aber nahm die Hände nicht weg, massierte da herum. Eine Weile ging das so, bis er sein Werkzeug sinken ließ. Er kletterte herunter, nein, er sprang, und es sah aus, als fing sie ihn auf. Sofort schob er die
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