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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Hände unter ihren Pulli und begann sie zu küssen wie einer, der ewig gewartet hatte. Im Fernsehen war das mal genauso gewesen, dieses hungrige Küssen, als ein Mann jahrelang nach seiner Frau suchte und sie schließlich wiederfand.
    Diese komische Gier; die Henkel packte den Mann an den Hüften, drängte sich an ihn, und zusammen machten sie so winzige Schritte, als würden sie ein bißchen tanzen. Bis sie aufs Bett fielen, machten sie das, bis sie damit anfingen.
    Sie hatte ja angefangen, sich getraut. Den ersten Schritt gemacht oder wie man es nannte, einfach so und ohne Angst wohl, daß er lachen würde.
    Er knöpfte ihre Jeans auf, aber bekam sie nicht herunter, sie konnte das besser bei ihm. Eine ganze Weile beschäftigte er sich mit ihrer Unterwäsche, dann war es gut, dann schmissen sie ihr ganzes Zeug auf den Boden, und er fing erneut an, sie zu küssen.
    Sie ließen die Hände nicht voneinander. Es sah aus, als könnten sie sich nicht entscheiden, wo sie einander zuerst anpacken wollten, hier und da und überall zugleich. Sie verdeckte ihn halb, fuhr mit den Lippen über seine Brust und mit der Hand über seinen Bauch und weiter runter, auch da unten hin, und als er ihre Brüste in den Mund nahm, ließ sie sich auf den Rücken fallen, gab sich ihm preis. Sie hörte nicht auf zu atmen, weil er sie überall anfaßte; Biggi hatte das schon erlebt, daß sie die Luft anhielt, wenn jemand sie nur aus Versehen berührte. Aber sie nahm sich wohl, was sie haben wollte, streichelte sein Haar, brachte es ganz durcheinander, während er sie ableckte wie ein Hündchen, die Gesichter konnte man nicht richtig sehen.
    Sie küßten sich jetzt nur noch flüchtig, umklammerten einander, und sie hob sich ihm entgegen, war überall mit ihren Händen, auf seinen Beinen, seinem Rücken, seinem Hintern, krallte eine Hand in sein Haar, legte ein Bein auf seins. Es war gar keine Ruhe darin, so, als ob sie über das Bett flatterten. Als wären sie nervös, hätten nur ein paar Minuten dafür.
    Es sah dann so aus, als würde sie mit ihm reden, ihm etwas ins Ohr flüstern, wo doch niemand zuhören konnte, und er brachte sein Gesicht ganz nah an ihres und wurde langsamer mit dem, was er tat, aber nicht sehr lange, und sie bog den Kopf immer weiter zurück, schlang beide Arme um seinen Nacken, und er starrte sie an, und sie bewegten sich immer schneller, bis sie damit aufhörten. Biggi drehte den Kopf zur Seite. Es hatte nicht schön ausgesehen.
    Als sie wieder hinsah, lag er neben ihr. Er strich ihr das Haar aus der Stirn und küßte ihre geschlossenen Lider, sie hatte eine Hand auf seiner Schulter.
    Biggi ließ das Fernglas sinken, sie hatte es noch nie gesehen. Im Fernsehen zeigten sie ja nicht so viel, und alles andere mußte man in Videotheken holen. Sie ging aber nicht in die Ecken, wo die alten Männer standen. Sie hatte gedacht, es müsse sanfter aussehen, nicht so schnell und so roh. Nicht so heftig. Natürlich hatte sie das schon selber gemacht, aber nicht so, es war lange her, und es war dunkel gewesen, das Innenlicht hatte im Wagen nicht gebrannt. Der Wagen dieses Jungen aus der Schule, der Rücksitz. Eng. Mief im Wagen. Er hatte sie dann irgendwo herausgelassen, sie war zu Fuß nach Hause, sie erinnerte sich nicht richtig. Sie vergaß so vieles, und es fiel ihr dann plötzlich wieder ein, der Schulhof, Schläge in der Pause, das Gekicher in der Sporthalle, das blöde Grinsen von Leuten, das Getuschel und das plötzliche Schweigen, wenn sie ins Zimmer kam, all das, hochgezogene Brauen, gottverlassene Abende, totgeschlagene Wochenenden, totgeschlagenes Leben, Julia, Martin, ihr Geschwätz und ihr Geplärr. Sie dachte nicht daran. Sie durfte nicht.
    Sie sah noch einmal hin. Jetzt lag er allein auf dem Bett, auf dem Bauch wie ein Baby. Die Leiter stand noch herum, mitten im Raum.

32
    Jutta Sandlos hieß die Leiche, bei der sie gelacht hatten, die Frau aus dem Schrebergarten, die Frau ohne Arme. Ein Foto fiel aus der Akte, die Ina Henkel auf den Wagen des Büroboten legte.
    Der Schrebergarten, überall Matsch. Sie liefen um die Leiche herum, den Leib ohne Arme. Stocker erinnerte sich an eine Kollegin seiner Frau, die Handlos hieß; genaugenommen, sagte er, wäre das passender. Der Pathologe kicherte als erster, und hinter der Hecke des Schrebergartens stehend, zwischen dem Körper der Toten und ihren Armen, konnten sie nicht aufhören zu lachen, was ziemlich peinlich war, weil zwei Schutzbeamte herüberguckten und weil diese

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