Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
Arme herumlagen und wann sah man Arme. Lose Arme gewissermaßen, ohne Körper, ohne Mensch, sie lagen weiter weg, vier Meter von der Frau entfernt, neben ihrer Tasche mit den Papieren, Sandlos, Jutta, 38 Jahre.
    Jutta Sandlos fürs Archiv. Der Täter war ein Bekannter, sagte aus, daß er nach den Armen Schluß machen mußte, es war das falsche Messer und übel geworden sei ihm ohnehin. Er weinte. Mit diesem Messer kam man nicht durch Knochen. Hasen konnte er tranchieren, das machte ihm nichts, Enten und Hühnchen, Menschen nicht. »Sie machen sich keine Vorstellung«, hatte er gesagt.
    Vier Akten ins Archiv. »Sind ’se das?« fragte der Bote.
    Ina Henkel sah ihn eine Weile an, bis sein Gesicht wieder sein Gesicht war. Verschrumpelte Arme waren es gewesen, Arme wie Stöckchen. »Ja«, sagte sie.
    »Nachher vergessen Sie wieder die Hälfte.« Er schob die Akten auf dem Wagen zusammen.
    »Nein, tu ich nicht.« An einem Arm, der einzeln da lag, erkannte man auch die Finger nicht gleich.
    »Letztes Mal lag die Hälfte noch bei Ihnen herum. Wurde gesucht.«
    »Jetzt nicht.«
    »In Ordnung«, sagte er. »Schönes Wetter heute.«
    Sie nickte. In dem dunklen Gang sah man kein Wetter. Doch es wurde wärmer. Wenn der Frühling kam, rochen die Toten stärker, im Sommer stank dann alles um sie herum. Sie ging in ihr Zimmer zurück. Stocker stand an ihrem Schreibtisch, sagte: »Sie verzetteln sich.«
    »Sie etwa nicht?« Sie nahm ihr Notizbuch. »Da ist ein Hinweis gekommen auf diesen Namenlosen mit den Stichen. Was heißt Hinweis – anonym. Unten, die Uschi Bauer hat’s aufgenommen, die meint, es wär ein Vorname.«
    »Ja«, sagte Stocker. »Laut Pagelsdorf soll’s der Kissel übernehmen.«
    »Hab-te-ab.« Sie kniff die Augen zusammen. »Vielleicht doch kein Name, vielleicht ’ne Beschimpfung.«
    »Wie?«
    »Der Anrufer konnte nicht buchstabieren, hat aber wohl langsam gesprochen. Mann in Leipziger Straße, sagt er. Habteab. Müssen wir mal gucken, ob das Indisch ist. Oder Pakistanisch.«
    »Tja«, sagte Stocker. »Der Kissel hatte schon paarmal mit Illegalen zu tun.«
    »Wenn er’s denn macht. Oder es ist was Arabisches.« Sie schob ihre Teekanne zur Seite und begann erneut, die Ausdrucke durchzublättern, die Reste der Welt von Martin Fried. Seine Welt war zwei Megabyte groß und auf Festplatte gespeichert, in Listen und Tabellen archiviert. Tabellarischer Lebenslauf, Aufzählung von Arbeitgebern, Listen von Besitztümern, alles aufgezählt und eingegeben, Sofa, Schreibtisch, Spülmaschine, Tonbandgerät, mit Kaufdatum und Angaben zum Händler. Bücherlisten, Aufstellungen seiner CDs und Videos; Wunschlisten, Beschreibungen von Orten, die er besuchen wollte, Sydney, Rom, Saloniki. Er hatte Flüge notiert, doch er war nicht geflogen.
    Briefe, jeder einzelne in mehreren Versionen. Martin Fried hatte nichts wegwerfen, er hatte auch nichts von der Festplatte löschen können. » Hiermit möchte ich Sie auf einen kleinen Schaden in der Wohnung hinweisen. Es handelt sich um eine nicht schließende Tür. «
    » Sehr geehrte Damen und Herren, leider läßt sich die Verbindungstür zwischen den beiden Zimmern in meiner Wohnung nicht mehr schließen. «
    Kein Brief war länger als eine Seite. » Sehr geehrte Frau Hegemann, wegen einer starken Grippe kann ich Ihrer Aufforderung zur Meldung nicht Folge leisten. Wie Sie ja bereits wissen, habe ich auf Ihr letztes Stellenangebot seitens des Arbeitgebers eine Absage erhalten. Mit freundlichen Grüßen. «
    Stocker sagte, sein Sohn hätte den ganzen Sonntag Dünnschiß gehabt.
    »Der hat so rumgestelzt. Hier schreibt er –« Ina Henkel hob den Kopf. »Ihr Kleiner? Was hat er denn gemacht?«
    »Packung Mohrenköpfe gefressen.«
    Sie angelte in ihrer Tasche nach einem Stück Traubenzucker. »Da müssen Sie Cola und Salzstangen geben. Cola stopft wohl und Salzstangen bewirken auch irgendwas.«
    Stocker stand auf und ging im Zimmer herum. »Meine Frau hat ihm Brennesseltee gegeben, ich vermute ja stark, daß es deshalb so lange gedauert hat. Wir stochern rum, merken Sie das?«
    »Ich weiß nicht.« Sie lehnte sich zurück. »Hier schreibt er an eine liebe Frau Lehmann, ohne Adresse. Interessanter Name, übrigens auch kein Vorname, sollen wir jetzt alle weiblichen Lehmanns besuchen?«
    »Erst mal Mosbach und Hilmar, obwohl –« Stocker trat vor den Spiegel und band sich die Krawatte neu. »Ich sehe da nicht viel. Nur weil der Hilmar dem Schimärenbild eines Nachbarn ähnelt –«
    »Wir

Weitere Kostenlose Bücher