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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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»Feiner Arm zum Zucker streuen, hat meine Frau immer gesagt. Ja, wie sah der aus? Wie sie eben aussehen, die warmen Brüder. Ganz kurze Haare, so gestoppelt, wissen Sie? Ganz in Leder, ganz in Leder. Sogar eine Leder hose .« Feierlich hob er den gesunden Arm: »Ohrring.«
    »Glattrasiert? Oder Bart?«
    »Oh, das kann ich nicht mehr – eher würde ich sagen: so ein Schnauzbart.« Er strich sich mit einem Finger über die Oberlippe.
    »Klein? Groß?«
    »Ja, ja. Größer als er.« Er deutete auf das Foto.
    »Figur?«
    »Ja, ja. Ganz gut.«
    »Ich meine« – Die Henkel rieb sich die Nase. »Dick, dünn?«
    »Ja, eher groß und schlank. Nicht dick, nein.«
    »Würden Sie ihn wiedererkennen?«
    »Da stellen Sie eine Frage, junge Frau.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Da rufen Sie mich und nachher stehe ich vor sieben Männern und deute auf einen unschuldigen Polizeibeamten.«
    Sie lächelte. »Nein, so ist das nicht.«
    »Ich kann nicht sagen, ob ich ihn erkennen würde. Vielleicht dämmert es mir, wenn ich ihn sehe. Oder auch nicht. Nein, ich glaube eher nicht.« Er sah auf den Boden. »Man hat so eine unscharfe Erinnerung, wissen Sie? Wie der Herr da, der jetzt tot ist, mit dem anderen da stand.«
    »Haben die sich gestritten?«
    »Nein, nein. Nur gesprochen. Ich weiß nicht, worüber, ich weiß nicht.« Er legte sich den kranken Arm auf den Schoß und umklammerte ihn mit der anderen Hand wie ein bockiges Tier. »Ich bin ja nun immer bißchen in Gedanken, wissen Sie?« Lächelnd wies er mit dem Kopf zur Kommode. »Da steht meine Frau. Wir haben immer getanzt, am liebsten Rumba. Wir waren mal in Singapur, ist jetzt doch lange her. Da wußte kein Mensch, was Rumba ist. Meine Frau wollte das aber tanzen, und sie hat den Musikanten ein bißchen vorgesungen.« Er lachte, schloß die Augen. »Rumba in Singapur.«
    Hieber faltete die Hände. Er sah eine Weile vor sich hin, weil es plötzlich so still war, dann sagte die Henkel neben ihm: »Das ist schön, wenn man tanzen kann.«
    »Ja, nicht?« Der Mann kicherte. »Können Sie denn nicht tanzen?«
    »Doch, schon. Aber es gibt so wenige Männer, die wollen.« Sie lächelte ihn an. »Oder können.«
    »Ja, da haben Sie recht. Meine Frau hat das auch an mir gemocht. Überall haben wir getanzt, na, und wie ich das mit dem Arm bekommen hab, hat sie gesagt, macht nix. Meine Frau. Hat sie dann meinen bösen Arm auf ihrer Schulter festgehalten, weil: sonst wär der ja gerutscht. «Er lachte. »Meine Frau war auch Kopp größer wie ich. Machte nix. Ja, jetzt sitz ich hier und denk an sie. Sie ist am Schlag gestorben, ganz schnell. Hatte immer hohen Blutdruck, halbes Leben lang.«
    Hieber bat ihn um seine Telefonnummer.
    »Versprechen Sie sich nichts«, sagte der Mann.
    »Nein«, sagte Hieber.
    Als die Henkel ihr Notizbuch einsteckte, fragte sie: »Ist Ihnen nie etwas aufgefallen? Hier im Haus. In den letzten drei Monaten, meine ich.«
    »Der tote Mann?«
    »Ja.«
    Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß man in einem Haus mit einem Toten lebt. Solche Ideen kommen einem nicht, wissen Sie?«
    Sie legte das Foto von Julia Bischof auf den Tisch. Der Mann sah hin und sagte: »Nettes Mädchen.«
    »Kennen Sie sie?«
    »Nicht, daß ich wüßte, nein. Was ist mit ihr?«
    Sie sagte es nicht. Sie waren schon an der Tür, als der Mann fragte: »Hat er leiden müssen? Den Herrn da meine ich.«
    Die Henkel sah Hieber an, und Hieber murmelte: »Ja.«
    Der Mann nickte. »Bei meiner Frau ging es ganz schnell.«
    Im Aufzug nahm Hieber seine Mütze ab, und weil er nicht wußte, was er sagen sollte, guckte er der Henkel wieder auf die Schuhe. Einmal war sie durch die Pathologie gestöckelt, da war er dabeigewesen. Dieses knallende, hallende Geräusch in dem stillen kalten Raum, in dem die toten Menschen in Schubladen lagen, hatte er als ganz und gar unpassend empfunden. Solche Schuhe wie heute waren in Ordnung, keineswegs unelegant, aber nicht so ordinär. Seine Tochter hatte die gleichen. Als er hochblickte, sah er sie mit geschlossenen Augen an der Wand lehnen, als würde sie im Stehen schlafen. Er hustete und zählte die verbeulten Plastikbecher auf dem Boden.
    »Haben Sie noch was? Haben Sie noch irgendwas? «Wie ein trotziges Kind sah sie ihn an, zwinkerte ein bißchen.
    »Der Bäcker erinnert sich.« Hieber rieb sich die Nase. »Aber da ist er halt Kunde gewesen. Wenn Fried ein soziales Umfeld hatte, dann hatte er es nicht in der Siedlung.«
    »Der hatte

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