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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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verrückt da herum. Sie rannte in den Flur hinaus und sah Pagelsdorf zur Treppe gehen. »Glauben Sie, daß ich hier irgendwelchen Mist baue?«
    Pagelsdorf blieb stehen. Sie sah ihn schon den Kopf schütteln, bevor er sich umdrehte. »Ganz gewiß nicht«, sagte er. »Bis auf das Schriftliche.« Er hustete. »Ich selbst war übrigens schon zweimal bei so einem Kollegen. Früher. Als ich in Ihrem Alter war. Es gab Dinge, die haben mir sehr zugesetzt.«
    »So«, sagte sie und ließ ihn stehen. Schmetterlinge im Netz. Sie flatterten wie die Gedanken. Ihre Konzentration ließ nach, wenn sie nicht weiterkam, das war schon häufig so gewesen, die Gedanken fanden keinen Weg ins Freie. Sie stromerten herum, hierhin, dorthin, ohne Ziel, ein abgehackter Arm, ein zerschlagenes Gesicht, ein Bündel Mensch auf einem grünen Teppichboden. Sie mußten gebändigt werden, die Gedanken, wie die Schmetterlinge brauchten sie ein Netz.

33
    Biggi hatte es geübt. Es mußte locker klingen, beiläufig, es war eine belanglose Begegnung gewesen, so wie es Dutzende belangloser Begegnungen gab, jeden Tag, in jedem Viertel der Stadt.
    Sie hatte gewußt, daß sie wiederkommen würden, wegen der Liste und wegen Martin. Gabriel wußte das auch, hatte verkündet: »Die Bullis werden’s wieder versuchen.«
    Gabriel war nicht gut drauf, man sah ihm das jedesmal an. Er sah dann älter aus, abgezehrt und gemein. In seiner letzten Sendung hatte er Pech mit einer Frau gehabt, das fing schon mit der Handtasche an. Während der ganzen Sendung hatte sie die Tasche auf dem Schoß liegen, was sie nicht hätte tun sollen, weil es albern aussah, so als hocke sie im Busbahnhof herum und nicht im Fernsehstudio, doch sie kapierte Gabriels versteckte Zeichen nicht.
    »Sie waren viel zu distanziert«, hatte Gabriel ihr nach der Sendung vorgeworfen, worauf sie jammerte, sie hätte das alles schon so oft erzählt.
    Das stimmte, sie erzählte es auch immer mit denselben Worten, »also, ich wollte meiner Schwester helfen mit dem Kind. Weil die ja beim Hausputz war. Habe ich ihr das Kind abgenommen, meine kleine Nichte. Bin ich mit dem Kind also spazierengegangen.«
    »Dann brach ihr Leben auseinander«, sagte Gabriel, und sie nickte und erzählte, wie das Kind sich losriß, auf die Straße rannte und wie sie dann den furchtbaren Lärm hörte und alles vor ihren Augen verschwamm. Sie hatte es schon Presseleuten erzählt und anderen Fernsehsendern, »da lag meine kleine Nichte tot auf der Straße, und ich habe sie angefleht, wach doch wieder auf. «In drei Talkshows war sie damit gewesen, jetzt bei Gabriel, jetzt hatte sie Routine. Sie hatte nicht gezittert, nicht gestottert, nicht geweint.
    Gabriel mochte das nicht. Vor der Kamera hatte er ein Recht auf die Tränen der Leute, es waren seine Tränen, und er wischte sie mit seinen Worten weg. Er liebte Tränen, sie bauten ihn auf, er liebte das Leid, es erleuchtete ihn. Er versuchte, die Frau aus der Fassung zu bringen, um trösten zu können, sagte: »Die Zeit, was passiert denn mit der Zeit, da liegt das blutende Kind, und Sie warten auf Hilfe.« Doch sie hatte nicht geweint, es war ihre vierte Talkshow gewesen.
    Gabriel war schlecht gelaunt, jetzt ließ er die Polizisten warten.
    Stocker war an der Tür stehengeblieben wie ein Handwerker, der das Zimmer vermessen wollte. Beide kriegten den Mund nicht auf. Die Henkel sah auf die Liste, die Biggi ihr gegeben hatte, Leute, die mit Julia und Martin in den Shows gewesen waren, die hatte sie doch haben wollen. Sie bedankte sich aber nicht.
    Sie hatte keine Ahnung. Hatte kleine schmutzige Geheimnisse und ließ ihre Jalousien oben.
    Biggi hatte es geübt. Sie räusperte sich. »Ich habe Sie übrigens – ich glaube, ich habe –«
    »Hm?« Die Henkel sah hoch, Augen ohne Wärme, und vertiefte sich sofort wieder in die Liste, auf der nichts Besonderes stand. Nur die Namen von Leuten, die mit ihrer armen kleinen Welt hausieren gingen.
    »Ich meine, ist es möglich, daß ich Sie Samstagmorgen zufällig gesehen habe, ich war einkaufen und –«
    »Kann sein«, murmelte die Henkel, ohne den Blick von dem Blatt zu heben. »Das sind alle?«
    »Bitte?«
    » Alle Teilnehmer? Mehr waren es nicht? «
    Sie war zum Bett zurückgekommen, an diesem Sonntagnachmittag, und der Mann hatte sie wieder in die Arme genommen. Er war lieb mit ihr umgegangen, sie schaffte es, daß Männer so mit ihr waren. Man mußte sehen, woran das lag. Sie hatten nichts an. Eine Katze war durchs Zimmer gelaufen, wie

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