Mimikry
Stocker, und seine Stimme war so unvermittelt im Raum, daß Biggi zusammenzuckte.
Stocker lächelte sie an. »Sagt Ihnen der Name was?«
Biggi schüttelte den Kopf.
»Nein?« Er lächelte noch immer.
»Nein«, sagte Biggi.
»Haben Sie die Frau Bischof öfter mal besucht?« Er stand noch immer an der Tür, hatte sich nicht einen Zentimeter bewegt.
»Julia?« Biggi zögerte. Sie sprangen von Martin zu Julia und vermutlich wieder zurück. Tasteten herum. »Nicht sehr oft. Zwei- oder dreimal, glaube ich.«
Stocker räusperte sich. »Hat die Frau Bischof denn mal von ihren Nachbarn gesprochen?«
»Nein.«
»Tja«, sagte Stocker. »Eng befreundet waren Sie nicht?«
»Nein«, sagte Biggi. Als sie den Kopf hob, sah die Henkel ihr direkt in die Augen. Biggi guckte weg, sie konnte nichts erkennen außer diesem dunklen Blau. Man wußte nicht, was der andere dachte, wußte nie genau, wie der andere war, und mußte es doch wissen. »Warum –« begann sie, doch sie wußte ja vorher schon, daß sie nicht antworten würden. Sie mußten nicht antworten, wenn sie nicht wollten, konnten die Leute einfach so stehenlassen. Als Gabriel die Tür öffnete, bewegten sie sich fast synchron auf ihn zu.
Gabriel sagte: »Mach Kaffee«, und Biggi wollte schon nach der Kanne greifen, als sie die Henkel sagen hörte, daß sie keinen wollten.
34
Mosbach schloß die Tür und deutete auf die Besucherstühle. Er blieb unter einer Halogenlampe stehen, deren Licht in seinen Locken schimmerte.
Stocker lächelte ihn an. »Für Ihre Gäste scheint es langsam gefährlich zu werden, bei Ihnen aufzutreten.«
»Es scheint so«, sagte Mosbach.
»Nun sind es zwei.« Stocker lehnte sich zurück.
»Der Presse haben Sie das nicht gesagt?« Mosbach verschränkte die Arme. »Den Zusammenhang, meine ich.«
»Bislang nicht.«
»Bitte drohen Sie mir nicht. Es gibt keinen Grund. Über Martin Fried kann ich Ihnen genauso wenig oder genauso viel sagen wie über Julia Bischof. Mit dem hatte ich übrigens auch keine heimliche Affäre, verstehen Sie? Ein Gast. Ich sehe täglich Leute und vergesse sie abends. Wie soll ich es denn sonst machen? Tragen Sie Ihre Fälle noch abends mit sich rum?«
»Ein sehr freudloser Gast«, sagte Stocker. »Mühselig, beladen.«
»Das sind viele.« Mosbach strich mit beiden Händen durch seine Locken. »Vielleicht müssen meine Gäste stellvertretend für das Publikum unglücklich sein, damit das Publikum das eigene Leid erträgt. Einen Grund muß es ja geben, mein Marktanteil lag mal bei 28 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe.«
»Und jetzt?«, fragte Stocker.
»Ein bißchen darunter. Möchten Sie denn einen Tee?«
»Nein.«
»Die Leute –« Mosbach machte eine lange Pause. »Es ist schwer zu schildern, sie machen sich schön. Sie holen das Beste aus ihren Kleiderschränken, um mir zu erzählen, wie ihr Haustier gestorben ist und daß sie im Bett mehr wollen als Rammelnummern ohne Gutenachtkuß.«
»Oder daß sie vor lauter Angst nicht in die U-Bahn kommen.« Stocker drehte die Handflächen nach außen.
»Ja«, sagte Mosbach. »Martin hatte Angst vor Menschen. Er war ein bißchen unbeholfen, und es fing wohl damit an, daß er Angst hatte, man würde über ihn lachen. Das passiert ja schnell, wenn man nicht so ganz deckungsgleich ist, nicht so flott, nicht so agil. Er wollte, daß das aufhört, darum ist er gekommen. Das war mutig.« Er lächelte. »Manchmal liefern sie ja ihre Analyse gleich mit, dann erzählen sie, wie streng ihre Mutter gewesen ist und wie kalt, genauso kalt wie das Arbeitsleben jetzt oder das Großstadtleben und was man alles hervorzaubern kann, das schuld ist, die haben das gelernt, die sind pfiffig. Irgendwie wollen sie mir ja gefallen, das ist so wie mit Schülern, die ihrem Lehrer zeigen, wie gut sie sich vorbereitet haben. Sie vertrauen mir, ich kriege so viele Bewerbungen, ich kann sie gar nicht alle berücksichtigen. Ich denke, wenn sie nur ihre Visage in eine Kamera halten wollen, dann gehen sie zu den Blondinen bei RTL. Wenn sie was auf dem Herzen haben, kommen sie zu mir. Anscheinend hört ihnen zu Hause keiner mehr zu.«
»Ergreifend.« Stocker sah ihn an. »Was wissen Sie von Fried?«
Mosbach schüttelte den Kopf. »Eine Stunde seines Lebens hab ich mit ihm geteilt. Ich habe beide einmal im Leben gesehen, Martin und auch Julia.«
Stocker beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Frau Bischof hat sie vielleicht – ehm – geliebt.«
»Das kann passieren.«
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