Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
waren.
»Meine Cousine
Elisabeth macht sich kein bisschen was aus ihren Silberlöffeln, aber wenn man
ihren Mingvasen zu nahe kommt, wird sie wild.«
»Aha, verstehe. Oder
besser gesagt, nein, das verstehe ich nicht.«
Mikhail betrachtete
sie stirnrunzelnd, und Nell wusste, was er dachte: ihre Kleidung, ihre Stellung
als Gouvernante und das Cottage, das sie zuvor beschrieben hatte, all das
machte den Eindruck, sie würde kein Geld besitzen. Was weiß Gott stimmte. Aber
die Armen besaßen gewöhnlich keine reichen Cousinen. Trotzdem hatte Nell im
Moment keine Lust, ihm mehr von Elisabeth zu erzählen. Obwohl, wenn sie einen
Monat im Dorf verbrachten, würde das Thema früher oder später wieder zur
Sprache kommen. Aber nicht jetzt. Um drohenden Fragen aus dem Weg zu gehen,
verfiel sie auf das, was ihr Vater immer als »Ablenkungsmanöver« bezeichnet
hatte: Sie wechselte zu einem anderen, ebenfalls interessanten Thema.
»Ich dachte, wenn
unser Plan klappen soll, dann sollten wir einander vielleicht ein bisschen
besser kennen lernen.«
»Ich habe nichts
dagegen«, sagte Mikhail. »Was möchten Sie über mich wissen?«
Wo anfangen? Am
meisten interessierte sie natürlich, warum diese Verrückten hinter den Kindern
her waren, aber sie bezweifelte, dass er diese Frage beantworten würde. Also
verfiel sie auf das Nächstbeste, was ihr in den Sinn kam.
»Mikhail«, sagte sie
nachdenklich, »ein russischer Name, nicht wahr? Aber Sie klingen nicht wie ein
Russe.«
»Sie haben recht, es
ist ein russischer Name. Mein Vater war Russe, meine Mutter Engländerin. Aber
ich wurde hier in diesem Land geboren. In London.«
Nell war nicht
entgangen, dass er in der Vergangenheitsform von seinen Eltern sprach. »Ihre
Eltern ...«
»Sind tot«, sagte er
beinahe abweisend. »Woher wussten Sie, dass er russisch ist? Mein Name?«
Sie zuckte die
Achseln. »Mikhail Feodorowitsch war der Gründer der königlichen Dynastie der
Romanows und von 1613 bis 1645 Zar von Russland. Er wurde von der
Ständeversammlung zum absoluten Herrscher ernannt, wie hieß die noch mal ...«
»Der Semski Sobor«, antwortete Mikhail
überrascht. »Sie kennen sich gut in Geschichte aus; ich bin beeindruckt.«
Nell wurde rot vor
Verlegenheit. Lob war sie nicht gewohnt; Beleidigungen und Herabsetzungen, das
schon eher. Und es war schon das zweite Mal, dass er ihr ein Kompliment machte
- wenn man entzückende Kehrseite dazuzählen konnte ... Bei diesem Gedanken wurde sie
gleich noch röter.
»Geschichte war schon
immer mein Lieblingsfach. Und mein Vater war Lehrer.« Sie zögerte, beschloss
dann jedoch, ebenso offen zu sein wie er. »Meine Eltern leben auch nicht mehr.«
Er schwieg einen
Moment, und sie fühlte seinen Blick voll Mitgefühl auf sich ruhen. Dann
räusperte er sich und sagte: »Was möchten Sie sonst noch wissen?«
»Leben Sie in
London?«
»Ja.«
»Und Sie haben eine
Schwester?«
»Ja. Eine. Sie heißt
Angelica. Sie ist zwei Jahre älter als ich. Mitja ist ihr Sohn.«
»Und Katja?«, fragte
Nell verwirrt. Hatte er nicht behauptet, der Onkel der beiden zu sein? Was
hatte das zu bedeuten?
Mikhail massierte
seufzend seinen Nasenrücken. »Ich weiß, das macht alles noch komplizierter,
aber Katja ist die Tochter meiner Cousine Violet. Eigentlich heißt sie Catherine, aber ich nenne sie
Katja.« Er lächelte verlegen, konnte ein aufsteigendes Gefühl von Gereiztheit
jedoch nicht unterdrücken.
»Kompliziert ist
untertrieben, Mikhail.« Nell zögerte, ihre nächste Frage zu stellen. Aber es
musste sein. Obwohl sie wusste, dass sie wahrscheinlich keine Auskunft bekommen
würde, sagte sie: »Ich sollte vielleicht nicht fragen, aber warum sind
Attentäter hinter den Kindern Ihrer Schwester und Ihrer Cousine her?«
»Nell, das darf ich
Ihnen leider nicht sagen.« Er wirkte aufrichtig zerknirscht, aber sie wurde
trotzdem zornig.
»Ach ja? Ich darf
also mein Leben für Sie und die Kinder riskieren, ich darf Sie einen Monat lang
verstecken, aber ich darf nicht erfahren, warum. Na wunderbar.«
Mikhail schwieg einen
Moment, wandte den Blick ab und schaute aus dem Kutschfenster in die Dunkelheit
hinaus. »Manche Dinge sind einfach nicht fair, aber so ist es nun mal.«
»Aha.« Mehr gab es
dazu nicht zu sagen, aber Nell war wütend. Sie hätte jetzt gerne etwas richtig
Gemeines gesagt, aber alles, was ihr einfiel, war: »Nun, Sie können jedenfalls
nicht als Mikhail, der reiche und mysteriöse Fremde im Dorf herumlaufen, so
viel ist
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