Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
ein Lächeln verkneifen.
»Guten Morgen, Adam«,
sagte Nell, als sie die Theke erreicht hatten. Das klang ein wenig steif, wie
Mikhail fand, aber er konnte sich ja irren.
»Storm! Ach du meine
Güte! Bist du's wirklich?« Der Ladeninhaber strahlte und machte Anstalten,
hinter seiner Theke hervorzueilen, um Nell zu begrüßen, doch etwas in ihrem
Gesichtsausdruck ließ ihn innehalten und zurückweichen. Mikhail hatte ihr
Gesicht nicht gesehen, er war zu sehr mit der Frage beschäftigt gewesen, warum
der Mann Nell Storm nannte. Ein alter Spitzname?
»Ja, ich bin es.« Nun
war Mikhail sicher: Nells Stimme klang definitiv, kalt und abweisend. Kein
Wunder, dass das Strahlen auf Adams runzligem Gesicht erlosch. »Mein Mann und
ich brauchen Mehl und Zucker, bitte.«
Der alte Mann sah
aus, als würde er jeden Moment einen Herzinfarkt bekommen. Mikhail beschloss,
sich jetzt besser einzumischen.
»Hallo, ich bin
Michael, der Ehemann.« Er bot dem geschockten Ladeninhaber seine Hand.
»Hallo, Michael«,
antwortete Adam und schüttelte erfreut seine Hand, »es ist mir eine Ehre,
Storms Ehemann kennen lernen. Wir hätten ja nie gedacht, dass es dazu kommen
würde, vor allem nachdem ...«
»Adam, wenn wir bitte
den Zucker haben könnten«, schnitt Nell ihm das Wort ab. Mikhail runzelte die
Stirn. Er hatte den alten Mann fragen wollen, warum keiner damit gerechnet
hatte, dass Nell heiraten würde, aber nun starrte Adam die Babys an, und wieder
hatte Mikhail das Gefühl, dass er umzukippen drohte.
»Sind das deine
Kinder?«, stieß der Alte ehrfürchtig hervor.
Nell schaukelte die
Kinder auf ihren Armen. Die kleinen Fäustchen hatten bereits begonnen, ihr das
Haar aus dem Dutt zu ziehen. »Sie sind die Kinder von Michaels verstorbener
Schwester. Wir haben sie adoptiert.«
»Ach, das tut mir
aber leid«, sagte Adam, ehrlich betroffen. Mikhail fand, dass er eigentlich ein
netter Kerl war, obwohl Nell ihn offenbar nicht leiden konnte.
Als Nell daraufhin
nichts erwiderte, breitete sich eine unbehagliche Stille aus. Adam warf einen
raschen Blick zum Schaufenster, an dem sich bereits eine Traube Neugieriger die
Nasen platt drückte.
Ȁh, ja, also Mehl
und Zucker, sagtest du? Ich hätte auch etwas Milch da für die Kleinen.« Adam
verschwand im Hinterzimmer, wo er herumzukramen begann. Kurz darauf tauchte er
mit dem Benötigten auf. Alles wurde verpackt und bezahlt.
»Ich danke Ihnen,
Adam«, sagte Mikhail freundlich, »auf bald. Wir werden uns jetzt sicher öfter
sehen.« Sie wandten sich zum Gehen.
»Soll das heißen, ihr
bleibt hier?«, rief Adam.
»Ja«, antwortete Mikhail.
»Das ist ja
großartig!«, freute sich der Alte. »Im Dorf ist es einfach nicht mehr dasselbe,
seit uns unsere Storm verlassen hat.«
Nell blieb stumm, was
Mikhails Verdacht, sie habe ihm eine Menge zu beichten, nur verstärkte.
»Auf bald«,
wiederholte er und führte Nell auf die Straße hinaus. Unter den Blicken der
Neugierigen führte er sie zu ihrer Mietkutsche zurück. Ein paar Leuten lächelte
er dabei zu.
Sobald sich die
Kutsche wieder in Bewegung gesetzt hatte, stieß er einen erleichterten Seufzer
aus.
»Würden Sie mir bitte erklären, was das zu
bedeuten hatte?«, fragte er mit gespielter Ruhe.
Es gefiel ihm gar
nicht, derart unvorbereitet zu sein, kein bisschen, vor allem nicht in seiner
Situation. Immerhin waren sie auf der Flucht vor Mördern und Halsabschneidern.
Die Kutsche rollte die Straße zu Nells Cottage entlang. Nell, die ihm
gegenübersaß, nickte grimmig mit bleichem Gesicht und harten Augen.
Nell konnte den Zorn,
den er in Hitzewellen verströmte, beinahe körperlich spüren. Und sie konnte es
ihm nicht verübeln. Ihn im Dunkeln zu lassen, war vielleicht doch nicht die
klügste Entscheidung gewesen, musste sie sich eingestehen.
Aber, verdammt noch
mal, er hatte schließlich darauf bestanden, dass sie ihm half. Und sie half ihm ja!
Erzürnt rückte sie die Kleine auf ihrem Schoß zurecht.
»Ich warte.«
Nell schloss kurz die
Augen und versuchte, vernünftig zu sein. Sie war wütend auf das Dorf, nicht auf
Mikhail. Sie musste ein bisschen verständnisvoller sein. Der Mann machte sich
wahrscheinlich Sorgen. Immerhin hatte er ihr sein und das Leben der Kinder
anvertraut. Und dieses Vertrauen hatte sie nun erschüttert.
Nell hatte auf einmal
ein schlechtes Gewissen, und das machte sie noch zorniger. Gott, sie hasste es,
die Dinge aus der Sicht anderer zu betrachten!
»Storm ist mein
richtiger Name«, gestand sie
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