Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
hatten. Zuerst waren es die Mütter gewesen, die ihre
Kinder kaum loslassen konnten, doch nun waren die Väter an der Reihe. Alexander
und Patrick standen beiderseits des Kamins, ihre kostbaren Schützlinge in den
Armen.
»Ich weiß nicht. Sie
scheint die Kinder aufrichtig zu lieben, und Mikhail vertraut ihr. Aber sie
verschweigt uns etwas«, antwortete Angelica nach einigem Überlegen.
»Was denn?« Violet
runzelte die Stirn. »Wie kann sie etwas vor uns verbergen? Du hast doch ihre
Gedanken gelesen, oder?« Aber Violet wusste sehr gut, dass es möglich war,
selbst vor Gedankenlesern etwas zu verbergen - sie hatte es selbst getan,
anfangs, als sie ihr schreckliches Geheimnis hüten musste ... Aber hatte diese
junge Frau, die ihnen die Kinder zurückgebracht hatte, etwa auch einen Grund,
gewisse Gedanken zu verbergen?
Angelica sprang
frustriert auf. »Ich habe sie nicht verhört, Violet. Ich weiß, dass sie den
Kindern nichts Böses will, und weiter habe ich nicht geforscht. Mikhail
schreibt, dass er und die Kinder ihr sein Leben verdanken. Und das soll mein
Dank dafür sein? Dass ich in ihre Gedanken eindringe!?«
Violet warf einen
raschen, unsicheren Blick zu ihrem Mann. Patrick war der einzige Clanführer,
der seine Abneigung gegen das Gedankenlesen offenkundig gemacht hatte. Er war
gegen den Missbrauch dieser Gabe, aber das war Angelica ebenfalls, wenn auch
aus anderen Gründen. Sie hatte erst gelernt, ihr Talent in den Griff zu
bekommen, als sie ihren Mann, Alexander kennen lernte. Davor war sie zwanzig
Jahre lang den Gedankenströmen ihrer Mitmenschen wehrlos ausgeliefert gewesen.
Kein Wunder, dass sie sich meist auf ihrem Landsitz versteckt und London
gemieden hatte.
»Ich kann deine
Hemmungen ja verstehen, Angelica aber in diesem Fall steht die Sicherheit der
Kinder auf dem Spiel. Mikhails Sicherheit. Wir schulden dieser Frau sehr viel,
aber wir wissen nicht, was sie uns verheimlicht Vielleicht stellt sich ja
heraus, dass wir ihr gar nichts schulden, ja dass sie gefährlich ist.«
»Meine Frau hat
recht, Prinzessin«, stimmte auch Patrick zu. Violet nahm die Bemerkung mit
Überraschung zur Kenntnis. Sie hatte erwartet, dass er Angelicas Standpunkt
vertreten würde. Prüfend schaute sie ihren Mann an und bemerkte den verstörten
Ausdruck in seinen hellblauen Augen. Etwas war anders. Etwas war geschehen, das
seine Meinung geändert hatte. Seine nächsten Worte bestätigten dies.
»Du weißt, ich bin
kein Befürworter des Gedankenlesens, egal um wen es sich handelt. Aber nun muss
ich feststellen, dass ich aufgrund dieser Skrupel Blut an den Händen habe. All
das hätte wahrscheinlich verhindert werden können, wenn ich nur gelegentlich
auf die Gedanken meiner Clansleute geachtet hätte. Dieses Risiko dürfen wir
hier nicht eingehen. Es wäre möglich, dass diese Frau deinen Bruder getäuscht
hat.«
Violet wusste, dass
ihr Mann dabei an die Vampirfrau dachte, die er vor zwei Nächten hatte töten
müssen. Patrick hatte sie gekannt und machte sich nun Vorwürfe, dass er sie
nicht eher durchschaut, ihre mörderischen Tendenzen nicht »erlauscht« hatte.
Natürlich konnte man nicht wissen, ob das wirklich etwas geändert hätte oder
nicht. Denn Menschen (oder Vampire), die Mord im Sinn hatten, achteten
gewöhnlich sorgfältig darauf,
ihre Gedanken zu
verbergen - so wie sie selbst damals auch.
»Wie auch immer, dies liegt
nicht in deiner Verantwortung Angelica, es liegt in meiner. Wir werden Miss
Nell zu uns rufen, und ich werde sicherstellen, dass sie nicht unsere Feindin
ist. Dann werden wir weitersehen.«
Patrick verließ
seinen Platz am Kamin, trat zu seiner Frau und übergab ihr das Kind.
Violet holte tief
Luft und atmete die Düfte ihrer näheren und ferneren Umgebung ein: Staub auf
dem Fensterbrett, die Geruchsreste eines längst eingetrockneten Weinflecks auf
dem Teppich, Heidekraut (Patricks Duft), polierte Holzoberflächen, Ölfarbe ...
Violet brauchte einen Moment, ehe sie Nells einzigartigen Geruch fand, aber da
war er, hier, im Erdgeschoss, im hinteren Teil des Hauses. Sie roch nach Rosen
und Sonnenschein und nach etwas Süßem ...
»Sie ist im
Musikzimmer.«
Angelica nickte.
»Gut, dann wollen wir sie zu uns rufen lassen.«
Nell hatte einen
solchen Ruf natürlich erwartet, war aber dennoch überrascht über das, was sie
erblickte, als sie den Raum, der wohl das große Empfangszimmer sein musste,
betrat. Noch nie hatte sie zwei so schöne Paare gesehen.
Mikhails Schwester,
Angelica, hatte
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