Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
plaudern. Missgelaunt stand er am Rand
der Tanzfläche und ließ seinen Blick über die Leute schweifen.
»Was hältst du davon,
Mikhail?«
Er zog versuchsweise
die Nase hoch. Nichts. Kein bisschen verstopft. Vielleicht doch keine
Erkältung.
»Hörst du mir
überhaupt zu?« John Remington, Viscount Morsley, wedelte mit einer
weißbehandschuhten Hand vor Mikhails Gesicht herum. Mikhail grinste, um seine
Irritation zu verbergen.
»Entschuldige, ich
fürchte, ich habe deine Frage überhört, Morsley.«
John verdrehte die
Augen. »Du bist so anders, Belanow. Dein Landaufenthalt scheint einen
schädlichen Einfluss auf deine Gesundheit gehabt zu haben. Komm, ich besorge
die mehr Wein.«
Mikhails Blick fiel
auf sein erst halb leeres Glas. Machte John Scherze? Doch als der Viscount den
Finger hob, um einen Kellner auf sich aufmerksam zu machen, wurde Mikhail eines
Besseren belehrt.
Nun gut, mehr Wein
also. Vielleicht war es ja das, was ihm fehlte, denn
John hatte recht. Sein Landaufenthalt hatte tatsächlich einen schädlichen
Einfluss auf ihn gehabt. Er hatte ein Leben entdeckt, wie er es nie gekannt
hatte. Ein Leben, in dem ein Mann morgens zum Duft frisch gebackenen Brots
erwachte, in dem ihn das Lächeln einer schönen Frau begrüßte, in dem er zu Fuß
zur Arbeit ging und danach mit dem Gefühl nach Hause kam, etwas Gutes geleistet
zu haben.
Ein Leben, das er
vermisste, wie ihm plötzlich klar wurde.
Mikhail hatte es nie
an Geld gefehlt. Er hatte sich die beste Ausbildung gekauft, die für Geld zu
haben war. Und dann hatte er die Handelsfirma seines Vaters übernommen, eine
Arbeit, die er zwar nicht unbedingt als beglückend empfand, aus Pflichtgefühl
aber nicht ungern tat. Nein, was ihn störte war vielmehr, dass er kaum
gebraucht wurde. Er hatte den Großteil der Arbeit an fähige und loyale Männer
übergeben, während er seinem Studium nachging. Und nun gab es nichts weiter für
ihn zu tun, als monatlich die Bilanzen einzusehen und eventuelle
Expansionspläne zu besprechen und gutzuheißen.
Ihm blieb also sehr
viel Zeit übrig, die er in seinem Club verbrachte, beim Sparring, er besuchte
Konzerte, Theatervorstellungen, Bälle, Partys und Tanzveranstaltungen in Covent
Garden. Dazu Pferderennen und Hauspartys auf dem Lande ... Zunächst war das ein
großer Spaß gewesen, doch Mikhail hatte schon vor einiger Zeit erkannt, dass er
die Hälfte davon eigentlich nur noch tat, um die Zeit totzuschlagen. Dies galt
besonders für Frauen. Mikhail liebte Frauen, und sie liebten ihn. Aber er war
bis jetzt noch nie verliebt gewesen. Hatte es auch nicht gewollt. Ein Mann, der
jeden Moment mit dem Tod rechnen musste, scheute sich vor Verpflichtungen, vor
einer Frau und Kindern, die er zurücklassen müsste. Aber all diese guten
Vorsätze hatten sich irgendwo zwischen dem Ärmelkanal und einem Weiler namens
New Hampton in Rauch aufgelöst...
»Leerer Blick,
Zerstreutheit, Wortkargheit - weißt du, John, wenn ich es nicht besser wüsste,
würde ich sagen, es steckt eine Frau dahinter!«, lachte der Marquis von
Summerlay und wies mit hochgezogener Braue auf Mikhail.
John, der soeben mit
einem frischen Glas Wein für Mikhail auftauchte und dieses gegen das inzwischen
leergetrunkene austauschte, lachte meckernd. »Komm, komm, unser Belanow ist ein
Connaisseur. Der lässt sich von keinem hübschen Rock einfangen, stimmt's nicht,
mein Freund?«
»Allerdings nicht«,
bekräftigte Mikhail und hob sein Glas. Bis jetzt jedenfalls.
Andere Freunde traten
hinzu, und gemeinsam musterten sie die Tanzenden. Die Bälle des Herzogs und der
Herzogin von Atholl waren immer große Erfolge, so auch dieser. Hunderte
wandelten durch die prächtig ausgestatteten Räume des Palais, nicht wenige
davon Vampire. Mikhail fragte sich unwillkürlich, was seine
Freunde wohl sagen würden, wenn sie wüssten, dass die Hälfte der Frauen auf der
Tanzfläche als Hauptnahrungsmittel Blut bevorzugte.
»Apropos schönes
Geschlecht, hier kommt schon eine«, bemerkte der Marquis.
Mikhail folgte seinem
Blick und sah Lady Denver auf sich zuschweben. Sie trug ein dunkelblaues
Seidenkleid mit einem geradezu aufreizend tiefen Ausschnitt. Zu jeder anderen
Zeit hätte er sich von ihrem verheißungsvollen Augenaufschlag betören lassen,
aber nicht heute. Caroline und er hatten vor zwei Jahren eine kurze Affäre
gehabt, doch die Frau war ihm zu besitzergreifend, zu eifersüchtig, um
überhaupt in Frage zu kommen. Aber sie hatte ihm in der Stunde der Not
geholfen,
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