Mindfuck: Warum wir uns selbst sabotieren und was wir dagegen tun können (German Edition)
gar nicht sein kann. Weder ich noch mein Mann sind irgendwie besonders. Wo soll er das herhaben? Dann dachte ich, dass er es jetzt noch schwerer haben wird. Er ist nicht normal. Alle werden ihn für einen Streber halten.«
Coach: »Was sagen denn andere dazu? Haben Sie schon mit jemandem gesprochen?«
Klientin: »Ja, mit meiner Mutter. Sie war richtig aufgebracht. Ich glaube, sie hat das gar nicht verstanden, sich sogar darüber geärgert. Wir dürften den Jungen jetzt nicht als etwas Besonderes behandeln. Wir würden ihn sonst nur verhätscheln. Wir müssten jetzt am besten sogar besonders streng zu ihm sein. Er solle sich nicht einbilden, dass es für ihn Sonderregeln gibt.«
Coach: »Durfte man in Ihrer Familie etwas Besonderes sein?«
Klientin (aufgebracht): »Wo denken Sie hin? Wenn wir Kinder ein Kompliment bekamen, weil wir so gut erzogen waren, sagte meine Mutter nur: ›Ach, was, die laufen auch nur mit der Herde mit.‹ Sie wurde richtig aggressiv, wenn wir stolz auf etwas waren. Es hieß dann immer: ›Bild dir bloß nichts ein! Hochmut kommt vor dem Fall!‹«
Coach: »Was denken Sie, warum Ihre Mutter so denkt?«
Klientin (überlegt): »Meine Eltern kamen als Kinder nach dem Krieg mit den Flüchtlingstrecks hierher. Sie haben sich dann sehr schnell etwas aufgebaut und haben immer Angst gehabt, man könnte ihnen das neiden und wieder wegnehmen. Ich glaube, sie wollten nicht auffallen, um keinen Zorn und Neid zu erregen. Etwas Besonderes zu sein oder zu haben, hielten sie für gefährlich. Sie fanden, es sei das Beste, mit der Masse mitzulaufen. Und das haben sie dann an uns weitergegeben.«
Die zweite Ursache von MINDFUCK
Ich erlebe Beispiele dieser Art häufig. Und sie haben mich auf die Spur der zweiten Ursache von
MINDFUCK
gebracht. In Kapitel 2 haben wir gesehen, dass die verschiedenen
MINDFUCK
-Arten häufig Sichtweisen widerspiegeln, die an die Haltung von Knechten und Mägden oder aber autoritären Herrschaftspersonen erinnern. Diese Arten gehen tiefer, als das Eltern- oder Kind-Ich-Konzept erklären kann. Es geht um eine Welt in uns, die viel düsterer wirkt. Sie ist rigide und autoritär. Sie ist ängstlich und lehrt uns das Fürchten vor etwas, das größer ist als Kinderängste und Elternsorgen.
Wenden wir uns dem Erbe einer längst vergangenen Zeit zu, das immer noch in unseren Köpfen herumspukt: Wir lernen unsere Vorstellungen über die Werte und Regeln in der Welt als Kinder von Menschen, die bereits viel länger auf der Welt sind als wir. Unser Innerer Wächter ist randvoll mit Überzeugungen und Vorstellungen, die bereits dann, wenn wir sie zum ersten Mal hören, restlos veraltet sind. Wenn wir nachrechnen, aus welcher Generation unsere Eltern stammen, und dann noch eine weitere zurückgehen, sehen wir, wie alt das Denken unseres Wächters ist.
Warum unser Denken veraltet ist
Das Denken über die Grundregeln des Lebens ist in jeder Generation im Schnitt mindestens um 30 Jahre oder mehr veraltet. Verglichen mit dem technischen Fortschritt wäre das so, als ob wir eines Tages aufwachen würden und nicht wüssten, dass es mittlerweile Computer, Mobiltelefone und das Internet gibt. Wir würden immer noch auf mechanischen Schreibmaschinen schreiben und Telefonungetüme mit Wählscheiben bedienen. Wenn wir von unterwegs aus telefonieren müssten, würden wir versuchen, eine Münztelefonzelle zu finden.
Als ich 1970 geboren wurde, waren meine Eltern um die 30. Und sie selbst waren mitten im Krieg und der Zeit des Nationalsozialismus geboren worden. Ihre Eltern wiederum, meine Großeltern, lebten damals als junge Erwachsene in einer unmenschlichen Diktatur. Diese selbst hatten wiederum Mütter und Väter, meine Urgroßeltern, die im autoritären und obrigkeitshörigen Denken der Kaiserzeit erzogen wurden. Deren eigene Großeltern, meine Ururgroßeltern, waren sogar noch Zeitgenossen Goethes (1749–1832) – lebten also in einer Welt, in der man noch mit Kutschen herumfuhr und in der die Industrialisierung erst begonnen hatte.
Wir werden also in eine Welt geboren, die von Menschen geprägt wird, die bereits viel älter sind und die zudem selbst ein mindestens um 30 Jahre veraltetes Denken mitbringen.
Für Menschen in den neuen Bundesländern ist das Bild genauso verschoben, nur mit anderen zeitgeschichtlichen Hintergründen. Wer heute in Ostdeutschland geboren wird, hat in der Regel Eltern, die ihre Kindheit noch in der sozialistischen Diktatur verbracht haben, die
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