Mindfuck: Warum wir uns selbst sabotieren und was wir dagegen tun können (German Edition)
Individuen und den Menschen, mit denen wir unmittelbar zu tun haben. Wir lernen darüber hinaus, was »Gesellschaft« bedeutet und welche abstrakten Regeln über unsere unmittelbare Umgebung hinaus gelten. So sind wir erneut sehr herausgefordert.
In der mittleren Kindheit gewinnen wir Überzeugungen über uns, andere und das Leben. Sich selbst aus dem Blickwinkel und der möglichen Bewertung anderer heraus zu betrachten, beginnt in diesem Alter und verstärkt sich in den Jahren der Pubertät noch einmal. Zum Teil machen wir selbst Erfahrungen und bilden daraus eine Lebensregel, zum Teil aber übernehmen wir einfach Überzeugungen, die andere haben. Denn wir brauchen Regeln und ein Wissen über die Gepflogenheiten der Welt, in der wir leben, um uns zurechtzufinden und sicher bewegen zu können. Gleichzeitig aber ist dieser Prozess hoch empfindlich und sorgt unter Umständen auch dafür, dass wir uns stark beschneiden, dämpfen und sich sowohl aggressive als auch depressive
MINDFUCK
s
ausprägen.
Wir können also das Fazit ziehen, dass wir ab dem dritten Lebensjahr ein Bild von uns selbst und der Außenwelt entwickeln und ab der mittleren Kindheit eine klare eigene Vorstellung über soziale Regeln erwerben, über Status und Dinge, die
man
tut oder nicht tut. [14] Beides kann eine Quelle von
MINDFUCK
sein.
Den Blick des Stärkeren übernehmen – wie man sich zum Funktionieren bringt
Wie sieht das praktisch aus? Ich kann mich noch sehr lebhaft an meine ersten Lektionen in sozialem Lernen erinnern. Als ich sechs Jahre alt war, zog ich mit meiner Familie von einer kleinen Stadt in Niederbayern nach Stuttgart. Das war eine völlig neue Welt für mich und fiel genau mit der Entwicklungsphase meiner Persönlichkeit zusammen, in der ich lernen musste, mich in einer Gemeinschaft mit anderen zu orientieren.
Ich lernte schnell, dass es unter uns Kindern Kriterien gab, nach denen das
Oben
und
Unten
in der Klasse bewertet wurde und jeder seinen Platz zugeteilt bekam und brav einnahm. Da ich weder zu den Hübschesten noch zu den Sportlichsten gehörte und obendrein nicht den »richtigen« Dialekt sprach, fand ich mich regelmäßig bei den vermeintlich Schwachen wieder. Wenn im Schulsport Mannschaften gewählt wurden, gehörte ich meistens zu den Letzten, die ausgewählt wurden. Das war jedes Mal ein quälendes Ritual für mich, bis ich mich selbst nicht mehr ernst nahm und mir einredete, ich hätte es verdient, erst so spät ausgesucht zu werden. Ich war durch viele Erfahrungen dieser Art bereits früh davon überzeugt, dass ich nichts Besonderes sei, »unterer Durchschnitt« und nicht besonders viel Gutes zu erwarten hätte. Ich nahm die Zuschreibungen aus meiner Außenwelt einfach in mich auf. So konnte ich besser ertragen, was ich täglich erlebte.
Lebensgeschichten wie diese erzählen mir heute viele meiner Klienten und Klientinnen. Und viele haben diese Sicht auf sich selbst tief drinnen in ihrer Parallelwelt noch bewahrt, sogar wenn sie nach allen äußeren Kriterien außerordentlich erfolgreich sind.
Ich lernte in dieser frühen Zeit eine Menge über Hierarchien und Macht, lernte aber auch die grausamen Auswirkungen depressiven und aggressiven
MINDFUCK
s.
Ein ganzes Schuljahr wurde ich auf dem Heimweg von jüngeren Kindern, vor allem Jungs, verfolgt und geschlagen. Ich fühlte mich elend, unfähig und ohnmächtig. Meiner Mutter wollte ich nichts erzählen, meinem Vater auch nicht, denn ich fürchtete, sie könnten mir auch nicht helfen, und es war mir peinlich, solchen Verfolgungen ausgesetzt zu sein. Ich litt und fürchtete mich vor jedem Schultag.
Gleichzeitig beobachtete ich, mit welchem Hass mich diese Kinder offenbar bedachten. Obwohl ich damals sehr dünn war, beleidigten sie mich als »fett«, außerdem als »dumm« und »blöde Kuh«. Prompt beschimpfte auch ich mich selbst zu Hause vor dem Spiegel als »blöde, fette Kuh«. Es war einfacher für mich, ihr Urteil zu übernehmen, als mich dagegen zu wehren. Aus den aggressiven Angriffen der anderen wurde ein aggressiver, von mir selbst betriebener
MINDFUCK
mit deprimierender Wirkung auf mich. Ich hatte Angst vor den Schulwegen, Angst vor der Schule und trat als Mädchen ohne Ansehen deutlich gehemmter auf, als ich es von meinem Temperament her bin. Mein Innerer Wächter war im ermahnenden und herabsetzenden Dauergespräch mit mir.
Was ich als Kind persönlich erlebte und was so vielen meiner Klienten und Klientinnen in frühem Alter widerfuhr, erklärt
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