Mindfuck: Warum wir uns selbst sabotieren und was wir dagegen tun können (German Edition)
friedliche Revolution von 1989 als Kinder oder Jugendliche erlebten und deren Eltern komplett geprägt waren von den Erfahrungen mindestens einer Diktatur, der nationalsozialistischen oder der sozialistischen.
Als ich mir die Struktur der
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-Logik genauer ansah, wuchs meine Überzeugung, dass es sich bei
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nicht nur um einen Ebenenwechsel der Ich-Zustände, sondern auch um das sichtbare Überbleibsel der Mentalität unserer Eltern und Großeltern handelt. »Unsere Lebensform«, bemerkte der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas, »ist mit der Lebensform unserer Eltern und Großeltern verbunden durch ein schwer entwirrbares Geflecht von familiären, örtlichen, politischen und intellektuellen Überlieferungen – durch ein geschichtliches Milieu also, das uns erst zu dem gemacht hat, was und wer wir heute sind.« [16]
Aus dieser Perspektive sind viele
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s
– vor allem die, die Regeln und Bewertungen enthalten – nicht die Folge verschobener Ich-Zustände. Sie stammen nicht daher, dass wir in ein Kind-Ich oder ein Eltern-Ich abrutschen. Sie sind vielmehr eine nicht mehr zeitgemäße gedankliche Wiederholung der Kultur von Herrschaft und Unterordnung aus der Vergangenheit. Und das ist eine Mentalität, die nicht mehr mit unseren heutigen gesellschaftlichen Bedingungen übereinstimmt. Dies bedeutet, dass wir mit dem gedanklichen Orientierungsraster früherer Generationen durch eine veränderte und sich rasant weiter verändernde Welt gehen.
Wenn man die Welt nicht mehr versteht
Wenn die Eltern von heute selbst veraltete Denkmuster haben, können sie auch den Kindern die Welt nicht erklären. Denn wir finden die alten Strukturen draußen nicht wieder, auf die wir innerlich immer noch reagieren. Die Welt, wie sie früher war mit ihren Regeln und Strukturen oder auch ihrem Chaos, ist heute untergegangen. Und der Wandel ist so rasant, wie er niemals zuvor war. Wenn wir also unserem Inneren Wächter folgen, folgen wir einer veralteten Landkarte. Sie kann uns keinen richtigen Weg mehr zeigen, denn die Welt, die sie beschreibt, hat sich bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Welche Welt zeigt uns der Wächter, wenn wir beim
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in die Werte und Vorstellungen unserer Vorfahren zurückfallen? Was war das für eine Welt? Wie sah sie aus, die Welt von gestern, in der aggressive und depressive Denkstrukturen sinnvoll und im Grunde sogar überlebenswichtig waren?
Wie die Welt einmal war
Sehen wir uns die Welt an, in der unsere eigenen Eltern, Großeltern und Urgroßeltern und deren Vorfahren noch lebten. Bis vor wenigen Jahrzehnten, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein, war das Leben von Menschen davon geprägt, dass alles knapp war. Der Lebensstandard der Mehrheit war viel niedriger als heute. Verteilungskämpfe, Neid und Missgunst, sehr wenige Reiche und sehr viele wirklich Arme prägten das normale Leben. Armut war damals tatsächlich noch ein Zustand, in dem das eigene pure Überleben in Frage gestellt war. Es war für Familien unerlässlich, zusammenzuhalten, sparsam zu sein und sich an strenge Regeln, Überlebensregeln, zu halten.
Jahrtausendelang herrschten sehr wenige über die große Mehrheit der Menschen. Fast jeder von uns hat Vorfahren, die vor irgendwelchen Herrschaften buckeln mussten. Die große Idee, die Gesellschaften damals zusammenhielt, war die Idee einer Ordnung, die von Gott gegeben war. Eine Ordnung, in der jeder Mensch seinen festen Platz hatte und gegen die man nicht aufzubegehren hatte. Von Geburt an war das Leben eines Menschen durch den sozialen Stand und das Geschlecht vorgezeichnet. Es war eine vertikale, also in oben und unten geteilte, Gesellschaft. Jeder hatte jemanden »über sich« – und sei es, wie für den Kaiser oder den Papst, Gott selbst. Viele Bauern waren bis ins 19. Jahrhundert hinein Leibeigene. Sie waren abhängig von ihrem Herrn, durften weder eigenständig heiraten noch sonst irgendwelche wichtigen Entscheidungen für sich selbst treffen. Auch freie Knechte und Mägde waren abhängig vom Willen der Bauern, Gewalt und ein autoritärer Umgangston waren oftmals an der Tagesordnung. Viele ältere Menschen können heute noch lebhaft davon berichten.
In den Familien sah es nicht anders aus. Auch hier herrschte eine strenge Hierarchie. Die Ordnung war wieder eine Einteilung in oben und unten, die Rechte waren einseitig und die Pflichten auf alle verteilt. Unumschränkter Herrscher war der Ehemann und Vater. Kinder und Frauen waren
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