Mindfuck: Warum wir uns selbst sabotieren und was wir dagegen tun können (German Edition)
seiner Herrschaft unterworfen. Oft genug wurde ihr Wille mit Gewalt gebrochen. Noch heute kann man aus der älteren Generation, z.B. meiner Großelterngeneration, Sätze wie »Eine Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet« hören. Tatsächlich war es in ihrer Welt, der Welt von gestern, völlig normal und sozial akzeptiert, dass Schwächere geschlagen wurden. Nicht immer waren es Sadismus oder Grausamkeit, die Menschen zu Schlägern machten. Häufig waren es Überforderung und die Überzeugung, dass Gewalt einen Menschen bessere. Was zu Hause begann, führte die Schule fort, später kam das Militär oder die Gewalt in den Häusern und Höfen von Herrschaften und Großgrundbesitzern, für die man arbeitete, oder in anderen Umgebungen.
Frauen waren bis weit ins 20. Jahrhundert unfrei und abhängig. Sie wechselten in Deutschland und ganz Europa von der Herrschaft des Vaters in die Herrschaft des Ehemanns. Waren sie unverheiratet oder verwitwet, mussten sie sich einem Vormund beugen, selbst wenn sie ihre Familien selbst ernährten. Erst Anfang der 70er Jahre bekamen verheiratete Frauen in der Bundesrepublik das Recht, einen Arbeitsvertrag ohne die Zustimmung ihres Mannes zu unterschreiben. Auch seitdem erst ist es verheirateten Frauen möglich, selbständig ein Konto zu eröffnen. Erst 1993 (!) wurde Vergewaltigung in der Ehe der außerehelichen Vergewaltigung strafrechtlich gleichgestellt und damit genauso hart bestraft. Als ich 1970 als Mädchen in der Bundesrepublik geboren wurde, waren Frauen tatsächlich rechtlich und auch gesellschaftlich diskriminiert. Die alte Welt ist also wirklich erst gestern gewesen.
Immer wieder gab es in der Neuzeit Versuche von Menschen, diese rigiden Unterwerfungssysteme zu brechen. Zahlreiche Aufstände und Revolutionen hatten das Ziel, Menschen aus der Bevormundung durch andere zu befreien. Die großen demokratischen Revolutionen der Neuzeit hatten immer wieder zum Ziel, die Rechte des Einzelnen zu stärken und die Macht der wenigen über die vielen zu brechen. Leider haben die meisten Befreiungsbewegungen zwar die Machtverhältnisse in Frage gestellt, nicht aber die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien. Viele Revolutionen, die mit guten Absichten begannen, endeten in Machtverhältnissen, in denen lediglich die Herrscher oder die Partei ausgetauscht wurden, nicht aber die Prinzipien dahinter. Es gab also weiterhin die Idee von oben und unten mit allen Druck- und Einschüchterungsstrategien, die wir heute in unseren geheimsten
MINDFUCK
s
immer noch kennen.
Deutschland hat in dieser Hinsicht im 20. Jahrhundert eine traurige Vorreiterrolle übernommen. Und einige Forscher haben schon behauptet, dass das hierarchische Denken in oben und unten, Befehl und Gehorsam bei uns besonders stark ausgeprägt war.
Manchen Experten – wie etwa den britisch-amerikanischen Historiker Gordon A. Craig, der übrigens als ausländischer Student in Deutschland die Anfänge der Nazidiktatur noch miterlebte – ließ das Phänomen der deutschen Befehl-Gehorsam-Mentalität zeit seines Lebens nicht los. Craig führte diese deutsche Mentalität bis weit vor das 20. Jahrhundert zurück. [17] Bereits ein Papst des Mittelalters hat das, was damals deutsches Territorium war, als »terra oboedientia« – als Land des Gehorsams – bezeichnet.
Craig und andere Kenner und Beobachter Deutschlands auch in früheren Jahrhunderten führten diese Neigung, sich Autoritäten allzu bereitwillig zu unterwerfen, auf die vielen grausamen Verwüstungen zurück, denen die Menschen in allen Regionen Deutschlands vor allem seit dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) ausgesetzt waren.
Ich habe bereits in der Beschreibung des Katastrophen- MINDFUCK
s auf diesen Hintergrund hingewiesen. Städte wie Magdeburg oder Berlin wurden nicht nur im Zweiten Weltkrieg zerstört. Sie verloren große Teile ihrer Bevölkerung gleich mehrmals in den vergangenen Jahrhunderten in Kriegen, Plünderungen und Epidemien, so auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Auch die Hexenverfolgung wütete in Deutschland besonders stark. Mit Angst und Terror wurden die Menschen klein gehalten und verinnerlichten diese Prinzipien in sich selbst.
In praktisch jeder Generation gab und gibt es über Jahrhunderte hinweg Zeugen oder direkte Nachkommen aus Zeiten, in denen die Menschen extremer Gewalt und Not ausgesetzt waren. Alles schien besser zu sein als unklare Machtverhältnisse, die jeweils neues Leid hervorbrachten. Lieber ordnete man
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