Mindfuck: Warum wir uns selbst sabotieren und was wir dagegen tun können (German Edition)
ihn auf dem Netz des Schlägers tanzen. Er fliegt immer höher. Er fällt hinunter. Ich fange ihn wieder auf. Gallwey sagt: »Hab einfach Spaß, schau dir an, was du alles mit dem Ball und dem Schläger machen kannst.« Es ist totenstill in der Tennishalle. Ich höre nur meinen Atem und das dunkle Ploppen, wenn der Ball auf dem Boden aufkommt, und das Pling, wenn er auf dem Schlägernetz landet. Wie ein Koch, der einen Pfannkuchen in der Luft wenden will, tänzle ich mit dem Schläger auf dem Platz hin und her, und irgendwann lache ich. Ja, es macht Spaß. Und, ja, es ist völlig egal, wenn ich den Ball mit dem Schläger nicht mehr kriege oder zu weit weg schlage. Ich hole ihn mir einfach wieder und fange von vorne an. Ich habe das Gefühl, wir haben alle Zeit der Welt. Es geht nur um mich und die Freude am Spiel. Ich bin im »Flow«, den der Glücksforscher als einen der angenehmsten und zugleich leistungsfähigsten menschlichen Zustände beschrieben hat.
Gallwey fragt, ob ich das Spiel Hockey kenne. »Ich rolle den Ball einfach nur auf dich zu, und du kickst ihn mit dem Schläger zurück«, sagt er, und ich folge ihm neugierig. Wir kicken den Ball am Boden zwischen uns hin und her. Es macht Spaß. Da unterbricht Gallwey und bittet mich, den Schläger zu heben und ihn der Gruppe zu zeigen. Ein erstauntes Raunen geht durch die Halle. Ich weiß nicht, warum, aber es ist mir auch egal. Ich möchte am liebsten gleich weiterspielen. Nach der Übung erklärt mir ein Teilnehmer, dass ich nach fünf Minuten Spielen den Schläger so sicher und locker in der Hand gehalten hätte wie klassisch ausgebildete Tennisschüler nach mehreren Monaten harter Arbeit.
Gallwey lächelt wie ein Großvater, dessen Enkel den ersten eigenen Fisch gefangen hat. Nun wirft er mir einen Ball zu und bittet mich, immer, wenn der Ball den Boden berührt, laut »bounce« (Aufprall) zu rufen und dann, wenn ich ihn mit dem Schläger treffe, »hit« (Schlag) zu sagen. Ich soll mich auf nichts anderes konzentrieren. Ich rufe also laut »bounce« und »hit« und bin ganz aufgedreht, weil es so einen Spaß macht. Ich treffe jeden Ball, ohne es bewusst zu merken, denn ich bin ja mit »Bounce«- und »Hit«-Sagen beschäftigt.
Die Ablenkungsstrategie funktioniert. Ich mache mir keine Gedanken darüber, ob ich gut bin, ob jemand zusieht, ob alles richtig ist. Ich bin stattdessen damit beschäftigt, ganz im Hier und Jetzt den Ball zu beobachten und zu spielen. Es macht einfach Spaß. Und während ich das tue, werde ich immer sicherer. Nach einigen Minuten spielt mir Gallwey den Ball mit seinem Schläger zu. Ich merke es erst, als wir mitten in einem langen Ballwechsel sind. Tatsächlich, ich spiele mit Timothy Gallwey Tennis.
Nun bittet er mich, auf die andere Seite des Netzes zu gehen und nichts anderes zu machen als bisher. Ich rufe also weiter »bounce« und »hit« und schlage den Ball mit Leichtigkeit über das Netz. Irgendetwas in mir nimmt wahr, dass ich mich locker und leicht bewege, dass meine Füße über den Boden tänzeln, dass es sich gekonnt anfühlt, den Schläger weit auszuholen. Manchmal spielt Gallwey mir den Ball so zu, dass ich von innen nach außen schlage, manchmal von außen nach innen. Später werden mir die anwesenden Tennisspieler sagen, ich hätte eine Vor- und eine Rückhand so gespielt, als ob ich Monate, wenn nicht Jahre trainiert hätte. Gallwey sagt nur: »Hab einfach Spaß. Genieß das Spiel.« Und ich fange an zu glucksen vor Freude. Ich merke, dass ich den Ball stärker schlage, dass ich schneller werde. Geht er ins Netz, will ich ihn möglichst schnell wiederhaben, um weiterzuspielen. Unsere Ballwechsel werden immer länger. Wieder bin ich im »Flow«, ich merke gar nicht, dass ich mit Timothy Gallwey spiele. Es gibt nur mich, den Ball und den Schläger, meine Freude und meinen Atem.
Als Timothy die Demonstration mit mir beendet, merke ich erst, wie sehr ich außer Atem geraten bin. Ich lache nur noch und bin glücklich. Gehe ans Netz und schüttle ihm die Hand, als ob ich immer schon Tennis gespielt hätte. Ich bedanke mich für diese außerordentliche Erfahrung. Das alles mitten in einem langen, lauten Applaus und vor den ungläubig staunenden Gesichtern meiner Kollegen.
Es war ein Wunder. Das ganz alltägliche Wunder des menschlichen Potenzials. Es war das, was passiert, wenn wir uns
nicht
stören. Das, was wir erleben, wenn wir keinen
MINDFUCK
betreiben. Das, was mit unserem Leben, unseren Beziehungen und unserem
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