Mindhunter - Tödliche Gabe (German Edition)
stellen und stattdessen einen Helikopter bestellst, der ihn abholt und rüber ins OI bringt, und zwar sofort – wo die Ärzte wenigstens wissen, was zum Geier sie machen.«
»Name des Patienten?«, fragte Elliot, was schon besser klang.
»Edward O’Keefe«, sagte Mac. »Er liegt in Bett vierunddreißig im roten Flügel der Notaufnahme.« Was bedeutete, dass man in den nächsten Stunden mit seinem Ableben rechnete. Er wurde hier nur oberflächlich mit dem Nötigsten versorgt. Und das wiederum bedeutete, dass man froh sein würde, ihn so schnell wie möglich in eine andere Einrichtung abzuschieben. Wo er das Problem von anderen sein würde und jemand anders seine Leiche entsorgen musste.
»Mach ihn abflugbereit. Der Hubschrauber ist unterwegs«, sagte Elliot und legte auf.
Mac steckte sich ihr Telefon in die Tasche und lief, so schnell sie konnte, ohne aufzufallen, zurück in die Notaufnahme.
Shane wartete an dem durch Vorhänge abgetrennten Abteil auf sie, und sie konnte seine Erleichterung spüren, als er sie entdeckte.
Auch sein Verlangen spürte sie – das war komplett ihre Schuld, weil sie ihre Kräfte hochgefahren hatte, als sie im Auto gesessen hatten.
Trotzdem bemühte er sich – ganz der Offizier und Gentleman – um Geschäftsmäßigkeit und Respekt und gab ihr einen Lagebericht: »Keine Veränderung, keine Bewegung – und keiner war da, um nach ihm zu sehen.«
Mac nickte und blieb ebenfalls sachlich. Der Haken, an dem der Beutel mit der Kochsalzlösung des alten Mannes hing, war schon am Bett angebracht worden, genauso wie seine Sauerstoffflasche. »Hilf mir rauszufinden, wie man dieses Bett zum Rollen bringt«, wies sie ihn an, und Shane eilte ihr zur Hilfe.
»Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen«, teilte er ihr mit, während er sich bückte und sich den Mechanismus ansah. »Wenn wir wieder im OI sind. Wie ich dich gezwungen habe, mich mitzunehmen –«
»Du hast mich nicht gezwungen«, sagte Mac. Ach, so löste man die Bremsen des Bettes. Sie machte dasselbe wie Shane auf ihrer Seite. »Sei nicht so melodramatisch, Matrose. Und keine Sorge, die werfen dich nicht aus dem Programm. Mich haben sie auch noch nicht rausgeworfen.«
»Das Bett ist so konstruiert, dass der Patient rückwärtsfährt – mit dem Kopf voran«, sagte Shane – offensichtlich sagte ihm das allein ein Blick auf die Räder. »Also rollen wir ihn rückwärts aus diesem Bereich raus –«
»Verstanden«, sagte Mac. »Der Hubschrauber-Landeplatz ist im siebzehnten Stock in diesem Flügel. Ich gehe eine Schwester oder einen Arzt suchen, damit wir auf dem Weg zu den Aufzügen nicht angehalten werden. Bleib, wo du bist.«
Doch sie hatte Glück, und ein Arzt – Ende zwanzig, männlich, sichtlich erschöpft und verärgert – befand sich draußen im Flur. Das war ihr doppelt willkommen, denn sie wusste, dass Shane immer noch nicht ganz an ihre Kräfte glaubte. So konnte er zusehen, wie es bei jemand anderem als ihm selbst funktionierte. Er war ihr bereits bis an den Rand des Vorhangs gefolgt.
»Entschuldigen Sie, Doktor«, rief sie, und als der Mann sich zu ihr umdrehte und einen Vorgeschmack ihrer Kräfte abbekam, veränderte sich seine Körpersprache so drastisch, dass es fast lachhaft war.
»Wow«, flüsterte Shane, als der Arzt fast auf sie zugerannt kam.
Was Shane natürlich nicht wusste, war, dass Stress und Müdigkeit ein Ziel besonders empfänglich für ihren Zauber machten. Und es war eine wohlbekannte Tatsache, dass Ärzte in der Notaufnahme oft achtundvierzig Stunden ohne Schlaf im Dienst waren, was sie besonders beeinflussbar machte.
Sie setzte nicht nur Sexappeal ein, sondern manipulierte den Arzt auch auf persönlicher Ebene. Er hatte seinen Beruf aus dem Wunsch heraus ergriffen, Menschen zu helfen, Leben zu retten, etwas zu bewegen. Viel zu oft war es den Ärzten als Zahnräder im derzeitigen verkorksten Gesundheitssystem gar nicht möglich, Menschen zu helfen. Doch die Botschaft, die sie momentan aussandte, lautete: Sie sind mein Held. Und das gefiel diesem Mann.
»Dr. Samuels«, sagte sie, als sie sein Namensschild gelesen hatte, »ich weiß, dass Sie mir helfen können.« Sie erklärte ihm, dass ein Helikopter vom OI kommen würde und ob er für ihren Großvater, der im Sterben lag, nicht ausnahmsweise die Regeln ein kleines bisschen beugen könne?
Er konnte, und er tat es.
Shane verhielt sich ruhig und sah bloß zu, wie der Arzt sie bis in den siebten Stock begleitete und den ganzen Weg über mit Mac
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