Mindstar 03 - Die Nano-Blume
Julia.
Schneeglöckchen. Sein Lächeln erfüllte ihr Bewußtsein, überflutete ihre Synapsen mit Wärme und Verlangen und löste eine ganze Flut wehmütiger Assoziationen aus. Julia sank auf dem Stuhl im Arbeitszimmer in sich zusammen und zog heftig die Nase hoch. Royan stand hinter dem Lächeln und trug die Fliegerjacke aus Leder, die sie für ihn gekauft hatte. Er hob die Arme zu einer hilflosen Geste und verzog die Lippen. Diese Geste hatte er wie viele seiner Angewohnheiten einem seiner Physiotherapeuten abgeguckt, der immer auf diese Art die Achseln gezuckt hatte, wenn Royan ihn fragte, wie lange er noch im Krankenhaus bleiben mußte.
Na ja, hier bin ich, gefangen wie ein Käfer in Bernstein, sagte er. Du schreibst gute Schutzprogramme.
Ich hatte den besten Lehrer. Tut mir leid, daß ich dich nicht herauslassen kann. In meiner aktuellen Lage gibt es zu viele unbekannte Faktoren, als daß ich das Risiko eingehen könnte, daß du ein trojanisches Programm bist. Nicht, daß du in meinen Netzknoten echten Schaden anrichten könntest, aber ich sähe es nicht gern, wenn ich die Erinnerungen verlieren würde, und dazu käme die Zeit, die es dauern würde, eine Antithese zu schreiben, um irgendein Virus wieder hinauszuwerfen. Klingt das paranoid?
Ich weiß nicht, in welcher Lage du bist, also kann ich kein objektives Urteil fällen. Es wird langsam übel, nicht wahr?
Ja, aber ich komme zurecht.
Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich stecke seit April im Speicherkern der Montagebucht. Keine aktuellen Daten vorhanden.
Wieso bist du im Speicher zurückgeblieben?
Zur Sicherung, als Warnung, falls irgendwas schiefgeht. Ich schätze, irgendwas ist schiefgegangen, denn sonst hättest du nicht nachgesehen.
Ich weiß nicht. Was könnte denn schiefgegangen sein?
Er lächelte wieder, der Ausdruck eines Beschützers. Mein liebes Schneeglöckchen. Ich habe dir so viel zu zeigen. Komm, fliege mit mir. Er streckte ihr die geöffnete Hand hin.
Undurchdringliche Nacht hüllte sie ein; dann tauchten einer nach dem anderen die Sterne auf. Kein Horizont war zu erkennen, und als sie hinabblickte, auch kein Boden. Sie schwebten im Weltraum. Fünf schmale silberne Ausleger ragten aus Julia hervor und sondierten das Vakuum.
Das ist der Speicherinhalt vom Flug der Kiley, sagte Royan. Die Anflugsphase. Da, siehst du?
Vor Julia tauchte ein heller orangebrauner Punkt auf, der ein irgendwie bösartiges Leuchten verbreitete. Sie hörte seinen Schrei auf den Radiobändern, ein prasselndes Brüllen. Einsam und ziellos.
Das Weinen eines totgeborenen Sterns, flüsterte Royan ehrfürchtig. Hast du eine Vorstellung, was wir versäumt haben? Kannst du dir vorstellen, wie schön es ist, wenn ein Doppelstern morgens aufgeht?
Kiley ist wieder da, oder? Die Sonde ist zurückgekehrt.
Still, Schneeglöckchen. Sieh hin und lerne.
Der Jupiter wuchs an, wurde zu einer lachsrosa Scheibe; deutlich abgesetzte Wolkenbänder wurden ansatzweise erkennbar. Monde wurden größer, verwandelten sich von dunklen Sternen in massive Welten aus grauen und braunen Tönungen, gefleckt oder gestreift. Neue Wahrnehmungen drangen auf Julia ein, Magnetfelder, Teilchen, elektromagnetische Wellen, und überlagerten das Ausgangsbild mit kräftigeren Schattierungen. Der Jupiter schmiegte sich ins Zentrum kolossaler Energiestürme. Leuchtende Blüten aus blauem und rosa Licht umwirbelten schützend den Gasriesen. Ein weißer Halo umgab die Plasmaringe des Io, und ein ungreifbarer Schneeregen von Ionen wurde hinausgeblasen.
Die elektrischen Böen umflossen Julia, beruhigten ihre Gedanken. Sie war in Staunen versunken.
Wie würde unsere Welt aussehen, wenn wir sie mit diesen Sinnen wahrnehmen könnten, Schneeglöckchen? Wie bunt und aufregend!
Wieso bist du hierhergekommen? wollte sie wissen. Und wieso allein? Ich hätte es gern mit dir geteilt; all das hätte dazugehört.
Weil ich es bin, der ein Teil von dir war, Schneeglöckchen. Ich war es seit dem Tag, an dem du mich gerettet hast. Ich schätze, ich gebe letztlich doch einen schlechten Prinzgemahl ab.
Du hattest alles.
Ich hatte alles, was du mir gegeben hast. Dies hier – der Jupiter, Kiley – war meine Chance, die Rollen zu tauschen.
Selbst etwas zustande zu bringen?
Ja. Dir ebenbürtig zu werden.
Das warst du immer.
Nein, nicht wirklich. Mit mir oder ohne mir, so oder so hättest du alles geleistet, was dich heute auszeichnet.
Du hast mir zu den Daten der Elektronenkompression verholfen.
Hätte
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