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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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Hände in die Air Condition, und das ganze Habitat ist lahmgelegt.«
    »Und wer von uns soll das sein?«, fragt Beppo.
    »Er wird gehen«, sagt Alan und zeigt mit beiden geöffneten Händen auf mich. »Er.«
    Sie binden mich los.
    Ich stoße sie beiseite, renne hinaus und über die Wiese, rutsche aus, falle und schlage Purzelbäume. Wasser stürzt aus dem Himmel und prasselt auf meine Haut. Ich mache den Mund auf und schmecke es auf der Zunge. Regen! Ich habe so lange keinen Regen mehr gespürt auf meinem Fell.

ALAN
    Alles war vergeblich.
    Alles zu Ende.
    Nach den freudigen Tagen des Pläneschmiedens, der immer neu aufgezeichneten Routen und Grundrisse, den Zwistigkeiten, den guten Vorschlägen, den schlechten Ratschlägen, den nutzlosen Einwänden, den aufkommenden Zweifeln, den Eifersüchteleien, den Zeremonien. Nach all den Wiederholungen, nach dem Umstürzen alles Erarbeiteten, nach der neu geborenen Ordnung … alles für die Katz.
    Ich stehe am Morgen am Tor und mit mir meine Getreuen. Um uns ist Gedränge und Geschrei, Geschiebe, und um unsere Ohren schwirren nie gehörte grässliche Flüche. Das ist die Menschheit.
    Wir warten, halten Abstand. Der große Khan tritt zur Sicherheitsschranke, in Weiß gekleidet, so wie es sein soll, ganz in Weiß. Er überragt alle. Sein Kopf mit der hässlichen Mütze, von der er nicht lassen will. Gut wäre eine Mütze in Weiß, er aber trägt seine alte, fehlfarbene, ausgeleierte … Was soll jetzt das Klagen. Die Mütze wird ihm zum Verderben.
    Er passiert die erste Schranke, zeigt Gosswins Papiere.
    Gosswins Papiere. Gosswin ist vom Service, gehört zu den Security-Leuten. Hier liegt er nun, immer noch gefesselt,neben der Kochnische, und winselt. Ich muss bald seinen Knebel entfernen. Er wollte sie uns nicht geben, seine Papiere, er ist kein Ama, sondern ein Compassionist. Er fürchtet um seine Familie. Ikike, sein Schwager, ist tot. Alle sind tot.
    Der Khan passiert die erste Schranke, und sie lassen ihn durch. Wir schieben uns vorsichtig näher. Die zweite Schranke. Sie betasten ihn, scannen ihn. Er trägt keine Waffen. Wir fangen an, uns fertig zu machen.
    Er ist drin.
    Aber noch fehlt die dritte Schranke. Wir hören es alle. »Mütze ab!«, und sie werfen sich auf ihn wie Hunde auf einen Hirsch. Wir sehen ihn schwanken. Ein Handgemenge entsteht. Explosionen sind zu hören, nicht laut, verhalten: plopp-plopp-plopp, es klingt, als öffne man Flaschen. Mehr nicht, aber wir wissen, was das bedeutet. Die Wachen drängen uns vom Tor und schließen die Gitter. Der große Khan ist nicht mehr zu sehen.
    Wir warten. Wir sprechen nicht. Die Menge schiebt uns wieder zum Tor. Es gibt Gelächter. »Wollte sich einer reinschmuggeln«, sagt eine Frau neben mir. »Die machen kurzen Prozess.«
    Wir aber, zuerst kopflos vor Schrecken, drängen uns zusammen, hören die Ci-Po anrücken, machen uns aus dem Staub. Ja, wir lassen unseren Khan in ihren Fängen zurück. Was hätten wir tun können?
    Trotzdem schleichen wir uns, jeder für sich und achtsam, an die verabredete Stelle der Mauer, dorthin, wo das Krawitz-Habitat an die Mauer der Oberstadt grenzt. Es gibt dort oben einen Garten, einen Garten, einen prächtigenGarten. Der Khan hat ihn uns beschrieben. Der Khan hatte diese Vision. Er hat den Garten gesehen, er war dort, geführt, sagt er, von einem geflügelten Dämon, der Wasser speit. Er hat uns alles genau beschrieben und aufgezählt, was dort wächst, oben, direkt neben der Mauer.
    Wir wissen nicht genau, warum wir uns nun dort unten am Fuß der hohen Mauer sammeln, es ist, als wollten wir unseren Verrat wiedergutmachen. Das ist natürlich unsinnig. Hier, am steilen Hang des trockenen Flussbetts, sollten wir auf ihn warten. Auf ihn und das Mädchen. Er trägt das Seil um den Bauch gewickelt. Ein Lederseil mit Knoten. Wir haben es nächtelang geknüpft, voller Begeisterung geknüpft und dabei gesungen.
    Und dort, zwischen den Steinen am Steilufer, gerade als es dämmert, machen sie uns nieder. Keiner weiß, wer uns angreift. Das heißt, die sterbenden Männer, meine Männer, wissen wohl, wer sie ins Jenseits befördert hat. Ich nicht. Ich bin in eine kleine Höhle gekrochen und muss dort kurz eingenickt sein. Ich bin alt. Als ich hochschrecke und herauskrabble, voller Entsetzen um mich schaue, denn ich höre meine Männer schreien, ist der Spuk schon vorbei, und keiner kann mir mehr sagen, was passiert ist.
    Schwerer Regen fällt gleichgültig auf mich und die verstreuten Körper

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