Mingus
zwischen den Steinen. Die Dunkelheit kommt und deckt alles zu. Ich bin übrig geblieben. Nur ich. Das scheint mir Strafe genug.
Ich nehme Gosswin den Knebel aus seinem Mund und gebe ihm Wasser.
»Ikike ist tot«, sage ich. »Alle sind tot.«
»Lass mich laufen«, flüstert er und atmet schwer.
Aber ich kann ihn nicht laufen lassen. Ich kann nicht allein sein, jetzt. Ich habe Lust, unseren schwarzen Gott mit einem Tritt zu Boden zu strecken, aber noch kann ich es nicht.
Vielleicht morgen.
NIN
ER kommt. Zu Fuß und alleine.
Der Regen trommelt auf mein blaues Glasdach, und ich höre ihn nicht kommen, erst als die schwere Tür ins Schloss klackt und er den mächtigen Riegel an seinen Platz knallen lässt, schrecke ich auf und sehe ihn drüben stehen. Ohne Wolke und ohne Robogefolge sieht er seltsam aus, verloren, obgleich er so groß, so breit ist, ein massiges Kind. Er breitet die Arme aus und wiegt sich wie zu einer Musik, die nur er hören kann. Er tanzt. Er lässt kein Auge von mir.
Um mich her brennen die bläulichen Lampen und Dufthölzer mit ihrem sich kräuselnden Rauch, wie jeden Abend.
»Niemand weiß, wann ER kommt«, sagt Nausica.
Heute sind es auf den Tag genau zwei Wochen, seit ich hier eingesperrt bin, und heute ist mein Geburtstag, aber das weiß nur ich. Hier kommt mein Geburtstagsgeschenk, denke ich, und versuche darüber zu lächeln.
Das Bett ist groß. Ich liege mitten auf dem Bett. Ich habe Blumen im Haar, wie jeden Abend. Langsam zerre ich Blüte für Blüte aus meinem Haar und werfe sie auf den Boden. Er sieht mir lächelnd zu. Er kommt näher. Ein Blitz zuckt über den Himmel, und als der Donner dröhnt, setzt er sich auf den Bettrand. Die Matratze gibt nach unter dieser Last.
Ob er das veranlasst hat? Ein Gewitter zu seiner Ankunft? Ich versuche mir vorzustellen, wie man das macht. Ich überlege, was dazu nötig ist, auf Knopfdruck ein Gewitter zu erzeugen. Das ist gut, das lenkt mich ab.
Aus den Falten seiner schwarzen Tunika nimmt er das kleine, blitzende Maschinchen, das er neulich so verächtlich von sich geworfen hat. Mit einer gezierten Bewegung setzt er es in sein Gesicht. Sein Mund ist nun umrandet von silbernen Löckchen, wie von einem Bart.
»Tochter des Krawitz«, sagt er. Seine Stimme hoch und gepresst, als spräche da ein ganz kleiner verängstigter Mann. »Da bin ich. Nun können wir uns alles sagen. Unter vertrauten Freunden kann alles gesagt werden.«
Ich kann kein Wort sagen. Ich bin wie erstarrt.
Draußen höre ich ab und zu die Robos leise gegen die Tür klappern. Sie warten auf ihn. Er wirft einen bösen Blick hinüber zur Tür und schreit: »Keine Störung!« Es klingt schrill, atemlos. Das verdirbt ihm die Laune. Ich sehe, wie sich sein Gesicht verfinstert. Mit einem Satz ist er neben mir.
Sein neuer Körper stammt von einem Athleten. Der letzte Körper – ich habe ihn mit meinen Eltern oft im großen Pam gesehen –, sein letzter Körper, gehörte dem berühmten Dichter Gun, Gun, der Barde, der, kaum beherbergte er den Präsi, wahnsinnig wurde. Papa hat das zwar immer bestritten. In ebendieser Klonung hat der Präsi den Krieg angefangen, der immer noch kein Ende nimmt. Er hat die Säuberungsaktionen angeordnet, die Rationierungen, die unumschränkte Macht der Ci-Po, die Ausgangssperre, die Vernichtung aller Haustiere, die Enttechnisierung derBürger. Seine selbst verfassten Hymnen auf den Krieg und die Jagd wurden alle im Avatar-Pam übertragen, sie waren endlos lang, dauerten oft einige Stunden. Der größte Dichter unseres Landes, so hieß es. Aber der Körper des Dichters wurde rasch älter. Er wurde immer magerer und vergesslicher, es wurde schlimmer bei jedem Auftritt. Seine Haare fielen aus, seine Zähne. Dennoch sagt man, seine Dichtkunst habe den alten Körper überlebt und es geschafft, sich im neuen Körper zu manifestieren. Er hat Zugriff auf alle Talente seiner früheren Gastkörper, und das, sagt Papa, seit nun zweihundert Jahren. Ob er mir jetzt eines seiner Gedichte vorträgt?
»Du, meine Tochter«, sagt er gepresst und legt seine heiße rote Pranke auf meinen Bauch. »Du, mein Weib.«
Ich werfe mich aus dem Bett und rolle auf den Boden. Ein Blitz erleuchtet taghell den ganzen Raum. Der Donner ist ohrenbetäubend. Das Dach birst. Eine Flugmaschine bohrt sich kreischend durch die Glasdecke und schlägt in das aufspritzende Wasser des Beckens. Der eine Flügel fegt die Sessel beiseite, der Rest der Maschine hängt draußen fest. Das Ding
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